Rex, Roxy, Royal … und das Küchlin

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Aus dem Lesesaal

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Das Küchlin im frühen 20. Jahrhundert. Staatsarchiv Basel-Stadt, BSL 1012 204

Eine Reise durch die Schweizer Kinolandschaft – mit Halt in Basel. Susanna Petrin stellt im soeben erschienenen Buch «Rex, Roxy, Royal» mehrere Basler Kinos vor. Recherchiert hat sie unter anderem im Staatsarchiv, wo sich Unterlagen zum Gründer des «Küchlin»-Kinos, Karl Küchlin, befinden.

Hier ein Auszug auf der Publikation (S. 189ff.), illustriert mit Impressionen der Autorin aus dem Nachlass von Karl Küchlin (PA 1213):

Der über hundertjährige Saal 1 des Küchlins ist der älteste und grösste Theatersaal ganz Basels – und der schönste. Wie Burger Joint in New York hätte Küchlins Saal 1 dem neuesten Geschäft weichen sollen, und wie jener existiert dieser nur noch dank des Protests Tausender von Basler Bürgern. 15 000 unterschrieben 1989 eine Petition zur Erhaltung des Saals. Der damalige Besitzer Enrico Ceppi wollte das unrentabel gewordene Kino zu Gunsten des Multiplex abreissen. Und die damalige Basler Regierung war auf seiner Seite. Nach einem Rundgang durchs Küchlin wollte sie «kein Vorhandensein eines kulturellen, geschichtlichen, künstlerischen oder städtebaulichen Wertes» erkennen. Nach einem langwierigen Rechtsstreit gab das Bundesgericht 2003 den Bewahrern recht. Das Varieté-Theater sei «eines der ältesten heute noch bestehenden der Schweiz», seine Innengestaltung von Bedeutung «wegen der Art und Weise, wie das klassische Rangtheater aufgegriffen und der anspruchsvolle Jugendstildekor dem Spielzweck des Gebäudes angepasst wird». Der Saal und die neoklassizistische Hausfassade stehen seither unter Denkmalschutz. Und das Pathé Küchlin musste seine sechs moderner ausgestatteten Kinosäle etwas umständlich rundherum bauen.

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Das Küchlin, von den Baslern liebevoll «Kiechli» genannt, war in den zwanziger und dreissiger Jahren in ganz Europa als eines der besten und schönsten Varieté-Theater bekannt. Der Lörracher Karl Küchlin, ein weitgereister, umtriebiger Mann, hatte es vom Architektentrio Widmer, Erlacher und Calini in neuester Eisenbetontechnik bauen lassen. Die Fassade mit den Säulen und die Inneneinrichtung hat Lörrachs berühmtester Künstler, Max Laeuger, entworfen; die Figurenfriese sind von Karl Albiker, einem Rodin-Schüler. 1912, im Jahr, als die Titanic unterging, eröffnete dieser Luxusdampfer von einem Theater am 31. August mit einer Privatvorstellung für geladene Ehrengäste. Bald galt das Küchlin als erste Adresse für Revuen, Artisten, Varieté-Stars. Später kamen Schauspiel, Oper, Operette und Ballett dazu. Im Parterre, wo sich heute Kinostühle aneinanderreihen, standen damals Tische. Es wurde getrunken, gegessen und geraucht, während auf der Bühne Frauen im kleinen Glitzrigen tanzten, Artisten balancierten, Clowns faxten, Bauchredner bauchredeten: Herr Edler und seine Patentpuppe, Fred Folkmann und seine «lebende Okarina», die Gleichgewichtskünstler The Percelly’s, das Akrobatentrio «Les Anserouls», der Clown Grock, der Chansonnier Maurice Chevalier, Knies Elefanten und Josephine Baker – das Showgirl soll mitten im Restaurant ihren Liebhaber geohrfeigt haben, weil er mit einer Serviertochter flirtete. 1932, zum 20-Jahr-Jubiläum, liess Josephine dem Varieté-Theater eine Grussbotschaft zukommen: «J’ai deux amours en Suisse, c’est Bâle et son Küchlintheater!»

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Karl Küchlin war ein Filmfan der ersten Stunde. Sehr früh kombinierte er die Varieté-Einlagen mit zehnminütigen kinematografischen Vorführungen und soll das Publikum jeweils aufgefordert
haben, für dieses Zusatzerlebnis länger sitzen zu bleiben. Die Kombination Varieté und Kurzfilme war in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts auch in anderen Städten beliebt. In Zürich unterhielt damals das Theater-Kino Corso sein Publikum mit derselben Mischung, der Originalsaal ist aber nicht erhalten geblieben. Am 31. Oktober 1927, da hatte der kränkelnde Karl Küchlin die Führung des Hauses längst an Josef Adelmann abgegeben, schreibt die National-Zeitung: «Ist es wahr, dass nun unser einziges grosses Varieté in diesem festlich schönen Rahmen auch noch zum Film hinüberwechseln soll, oder wird es möglich sein, uns diese Bühne zu erhalten? Die Geschäftsleitung hat den diesmal glücklichen Weg des Kompromisses beschritten: sich die Glanznummern des Varieté zugleich mit denjenigen des Films zu sichern.»

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