Strassengeschichten. 3: Die Freie Strasse (II)

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Allgemein, Strassengeschichten

Bild Schn. 29_b

Die Freie Strasse vor 1878, aquarelliert von Johann Jakob Schneider (1822–1889). Staatsarchiv Basel-Stadt, BILD Schn. 29.

«Bischof Johans von Basel, mit Willen Gunst und Rath seines Capitels, versetzt zu rechtem Pfande dem Bürgermeister Rath und Bürgern zu Basel den mehrern und den mindern Zoll, den er zu Basel hat, um 12500 Gld., bis zur Lösung um die gleiche Summe.» So steht es geschrieben, auf deutsch, auf Pergament, im Staatsarchiv Basel-Stadt. Wir schreiben den 3. Dezember 1373. Bischof Johann von Vienne, der notorisch klamme Stadtherr von Basel, verpfändet dem Rat der Stadt das Recht, Zölle zu erheben. Dieses Dokument ist nicht einfach eines unter vielen, die im Staatsarchiv aufbewahrt werden. Es ist ein Meilenstein. Denn zusammen mit dem im gleichen Jahr erworbenen Privileg, eigene Münzen  zu prägen, übernimmt der Rat vom Bischof das Handelsmonopol, und zwar, wie es sich herausstellen sollte, nicht nur pfandweise, sondern auf Dauer. Das war ein bedeutender Schritt auf dem Weg der städtischen Emanzipation.

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Zollordnung 1775. Staatsarchiv Basel-Stadt, Bf 1 A 13-51

Nur drei Jahre später, 1376, liess der Rat im unteren, «unter Becherern» genannten Teil der Freien Strasse das Kaufhaus errichten. Hierhin mussten sämtliche Import-, Export- und Transitgüter gebracht werden. Dies verdeutlicht eine weitere Quelle des Staatsarchivs aus späteren Jahren, die Zoll-Ordnung für das Spalentor aus dem Jahr 1775. Sie vermittelt anschaulich, welche Waren Basels Tore passierten. Häufig findet sich der Vermerk «muss ein Zeichen aus dem Kaufhaus bringen». Das galt nicht nur für beladene Güterwagen, sondern auch für Krämer oder Träger, die ihre Ware auf dem Rücken trugen oder für einzelne Produkte wie Lederbögen.

Das Kaufhaus

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Kaufhaus an der Freien Strasse, 1852. Staatsarchiv Basel-Stadt, BILD 2, 1156

Auf Bildern wie diesem von Louis Dubois aus dem Jahre 1852 wirkt das Kaufhaus relativ bescheiden. Aber der Eindruck täuscht. Es diente ja nicht nur als Zollstation. Es war Lagerhaus, Börse und Markthalle in einem. Hier stand die öffentliche Waage, hier fand der städtische Engrosmarkt statt. Mit anderen Worten: Es war 500 Jahre lang das wirtschaftliche Zentrum der Handelsstadt Basel.

Mit dem Bau des Kaufhauses stieg die Freie Strasse sehr schnell zur wichtigsten innerstädtischen Verkehrsachse auf. Insbesondere im unteren Teil liessen sich nun reiche Handelsleute nieder, und es ist kein Zufall, dass die vier Basler Handelszünfte (Schlüssel, Safran, Weinleuten und Hausgenossen) ihre Zunfthäuser in einem Umkreis von nicht einmal hundert Metern vom Kaufhaus erbauen liessen.

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Neues Kaufhaus auf dem Barfüsserplatz, zwischen 1856 und 1860. Statsarchiv Basel-Stadt, AL 45, 4-60-1

Im 19. Jahrhundert war das alte Kaufhaus dem massiv gesteigerten Handelsverkehr nicht mehr gewachsen. Allein zwischen 1830 und 1842 verdreifachte sich Basels Gütereinfuhr, was zu akutem Platzmangel und Verkehrsstau im unteren Teil der Freien Strasse führte. Deshalb wurde 1846 auf dem frei gewordenen Areal des alten Spitals neben der Barfüsserkirche ein neues Kaufhaus gebaut, das allerdings nicht lange bestand. Mit dem Aufkommen der Eisenbahn verlagerten sich Umschlags- und Lagerplätze. 1865 wurde das überflüssig gewordene Kaufhaus aufgelöst.

Die Post

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Die neue Post, zwischen 1852 und 1880. Staatsarchiv Basel-Stadt, BILD Visch. C 62

Anstelle des alten Kaufhauses erbaute man 1851/1852 das Postgebäude mit seiner mächtigen repräsentativen Fassade. Auf der Postkarte aus dieser Zeit wirkt es fast noch mächtiger. Die benachbarten Häuser sind so gezeichnet, dass auf Anhieb gar nicht klar wird, dass sie nicht dazu gehören. Zudem wird dem Bau sehr viel Raum gegeben (den es in der engen Strasse gar nicht gibt), was ihm zusätzlich Würde verleiht. Das Bild spiegelt die zentrale Bedeutung, die der Post in dieser Zeit zukam. Und zwar nicht nur bezüglich ihrer (auf der Karte ebenfalls dargestellten) Funktionen wie die Brief- und Paketzustellung oder den Personentransport, sondern als staatsbildendes Element.

Unmittelbar nach der Gründung des neuen Bundesstaates 1848 war die Post verstaatlicht worden, nachdem sie zuvor von den einzelnen Orten in Eigenregie betrieben worden war (in Basel von der Kaufmannschaft mit Sitz im heutigen Stadthof). Anfänglich war sie die einzige Institution, die den neuen Staat landesweit repräsentierte und verband. Das förderte das Vertrauen in die zentrale Verwaltung ungemein. Die nationale Komponente zeigt sich auch in der Fassadengestaltung des Basler Postgebäudes mit den Kantonswappen und dem Schweizerkreuz. In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich das Postwesen rasant. Dies machte in den 1870er-Jahren eine Erweiterung des Postgebäudes nötig. Die Häuser zur Rüdengasse hin wurden abgerissen und der noch heute vorhandene, neugotische Erweiterungsbau wurde erstellt (1880). Die eindrückliche Schalterhalle, 1977 von verschiedenen Einbauten befreit, gehört zu den bedeutendsten Sälen des Historismus in der Schweiz.

Doch die Zeiten wandeln sich. 2016 gab die Post bekannt, die Basler Hauptpost per 2018 schliessen zu wollen. Und sofort hat eine Supermarktkette Interesse bekundet. Die Vorstellung, dass in den ehrwürdigen Mauern dereinst nach Schnäppchen gewühlt werden könnte, ist einigermassen befremdend. Aber nichts ist in der Geschichte so beständig wie der Wandel.

Ein Beitrag von Peter Habicht im Rahmen der Serie Strassengeschichten.