Strassengeschichten. 5: Die Falknerstrasse

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Allgemein, Blogserie, Strassengeschichten

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Falkner-Plan von 1866. Staatsarchiv Basel-Stadt, PLA 61, 3-46

Das Planarchiv des Staatsarchivs Basel ist eine Fundgrube sondergleichen. Von den rund 40 000 Plänen sind mittlerweile weit über 1000 digitalisiert und können im Netz in grosser Auflösung betrachtet werden. Dazu gehören auch die in den 1860er-Jahren entstandenen Messtischblätter von Rudolf Falkner (1827–1898). Sie sind deshalb so spannend, weil sie die Stadt unmittelbar vor ihrer grössten baulichen Veränderung zeigen. Diesen Prozess hat Falkner entscheidend mitgeprägt: 1873 wurde der Basler Katastergeometer, der dieses Amt seit 1855 ausgeübt hatte, in die Regierung gewählt und stand dort 21 Jahre lang dem Baudepartement vor. Für sein Wirken wurde er ein Jahr nach seinem Tod geehrt, indem die neu über dem Birsig angelegte Strasse nach ihm benannt wurde. Das ist stimmig, denn die Birsigkorrektur gehört zu den grossen Leistungen in Falkners Regierungszeit.

Der Birsig

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Das Birsigbett zwischen Barfüsserplatz und Rüdengasse, 1880. Staatsarchiv Basel-Stadt, AL 45, 5-41-1

Es gibt wohl wenige Bilder aus den Beständen des Staatsarchivs, die häufiger reproduziert wurden wie diejenigen, die den offenen Birsig zwischen dem Barfüsserplatz und der Hauptpost zeigen. Das mag zwar auf Anhieb romantisch aussehen; aber zum Glück riechen Fotos nicht. Denn die hölzernen Anbauten an den Hinterhäusern der Freien Strasse (rechts) respektive der Gerbergasse waren nicht einfach Balkone, sondern in erster Linie Abtritte. Dazu gesellten sich die vielen Dolen, die Abwasser direkt in den Fluss leiteten. Auch sie sind auf den Plänen Falkners minutiös verzeichnet. Diese Art der Abwasserentsorgung war in ganz Europa verbreitet. Ein Problem wurde das erst, als im 19. Jahrhundert die europäische Bevölkerung rasant wuchs und die oft kleinen Gewässer den Unrat nicht mehr abtransportieren konnten (berüchtigt ist etwa der Great Stink von London im Jahre 1858). Auch in Basel hatte sich die Bevölkerung innerhalb eines halben Jahrhunderts mehr als verdoppelt (1811: 15 000; 1860: 38 000) – und der Birsig, die «Schande Basels», stank zum Himmel.

Die Stadtgesundung

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Stadtplan mit Typhus-Häusern, 1862. Staatsarchiv Basel-Stadt, Planarchiv K 2,60

Die Folgen der katastrophalen hygienischen Verhältnisse blieben nicht aus. 1855 erkrankten 400 Personen an der Cholera, 1866/1867 starben 450 Baslerinnen und Basler an Typhus, der auch schon zuvor aufgetreten war. Auf der obigen Karte sind alle Häuser schwarz verzeichnet, in denen 1862 Typhuserkrankungen festgestellt wurden. Dies zeigt, dass die Behörden nicht untätig blieben. 1855 setzte der Rat einen Choleraausschuss ein, dessen Generalbericht 1856 vorgelegt wurde. Man ahnte die Zusammenhänge zwischen hygienischen Zustanden und Seuchen und schlug eine Reihe gesundheitspolitischer Massnahmen vor. Dazu gehörten die Übernahme der Strassenreinigung durch die Stadt, ein neues Dolengesetz oder der Anschluss de Häuser an ein Wasserleitungsnetz (ab 1866). Zur sogenannten Stadtgesundung gehörten aber auch bauliche Massnahmen wie die Birsigkorrektur von 1887/1888.

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Der Birsig von der Post aus gesehen, 1900. Staatsarchiv Basel-Stadt, NEG 6507

Das Bild von Jakob Koch zeigt den Blick von der Hauptpost Richtung Barfüsserplatz in den 1890er-Jahren. Die hölzernen Lauben und Abtritte sind verschwunden. Für den Birsig war ein kanalisiertes Flussbett geschaffen worden. Die Ufermauern waren bereits als Stützen für die zehn Jahre später erfolgte Überwölbung gedacht. Heute ist der Fluss, der Basels Topographie mit seinem tiefen Tal so stark geprägt hat, aus dem Stadtbild verschwunden – und damit auch aus dem Bewusstsein der meisten Bewohnerinnen und Bewohner.