Strassengeschichten. 9: Kleinhüningen

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Blogserie, Strassengeschichten

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Übersichtsplan der Stadt Basel, 1905. Staatsarchiv Basel-Stadt, Planarchiv H 3,75 Bl. 1

Die Stadtpläne, die im Staatsarchiv aufbewahrt werden, sind eine wunderbare Geschichtsquelle. Nehmen wir beispielsweise den Übersichtsplan aus dem Jahre 1905, der übrigens digitalisiert ist und online studiert werden kann. Der abgebildete Ausschnitt zeigt das nördlichste Basler Stadtquartier: Kleinhüningen. Doch schon die Strassennamen (Dorfstrasse, Schul- und Pfarrgasse) verweisen auf eine eigenständige Geschichte. Tatsächlich war Kleinhüningen das einzige Dorf, das von der Stadt eingemeindet werden konnte (1908). Dieser Prozess, der sich ab dem späten 19. Jahrhundert in ganz Europa beobachten lässt, wurde in Basel überall sonst durch die Landes- respektive Kantonsgrenzen verhindert.

Fisch und Wäsche

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Klybeckschloss, Ausmündung der Wiese in den Rhein, zwischen 1618 und 1624. Staatsarchiv Basel-Stadt, BILD 4, 658

Basel hatte das Dorf an der Wiesenmündung, dessen Name nicht etwa auf Attila und die Hunnen, sondern auf einen Alamannen namens Huno zurückgeht, während des Dreissigjährigen Krieges vom Markgrafen von Baden-Durlach gekauft (1640). Dies wohl auch der reichen Fischgründe wegen. Noch bis zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts bildete die Fischerei die Haupterwerbsquelle der Dorfbevölkerung, und Kleinhüningens Fischbeizen – die «Krone» oder das «Dreikönig» – waren legendär.

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Gasthof zur Krone, 1927. Staatsarchiv Basel-Stadt, NEG 5837

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Gasthof Drei Könige, 1937. Staatsarchiv Basel-Stadt, NEG 5856

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Diese Gasthöfe waren der Grund, weshalb eine der ersten Basler Tramlinien überhaupt hierher führte, und zwar schon zehn Jahre vor der Eingemeindung. Die Endstation befand sich, wie auf dem Kartenausschnitt (aus dem Übersichtsplan der Stadt Basel, 1905) deutlich zu sehen ist, mitten in der Dorfstrasse.

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Die Wiese bot den Dorfbewohnern noch eine weitere Einkommensquelle. Ihr kalkarmes Wasser eignete sich vorzüglich zum Waschen der Wäsche. Hier liessen die Basler Familien jahrhundertelang waschen, und die Kleinhüninger Frauen, die mit ihren Handkarren voll Wäsche durch die Strassen zogen, gehörten zum gewohnten Stadtbild. Auf dem Übersichtsplan von 1905 ist der mittlerweile verschwundene Wäscherweg entlang der Wiese noch eingetragen.

Das Dorf verwandelt sich

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In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts verwandelte sich Kleinhüningen dramatisch. Aber nicht so, wie es der Übersichtsplan von 1905 mit den punktiert eingetragenen Strassenzügen (die, so die Planlegende, «grundsätzlich bewilligt aber noch nicht gebaut» seien) projiziert hatte. Dort, wo die Hunnenstrasse oder die Landgrafenstrasse geplant waren, wurde 1917 die Basler Stückfärberei AG eröffnet.

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Die Basler Stückfärbrei, ca. 1950. Staatsarchiv Basel-Stadt, SMM Inv.1984.11

Die Stückfärberei war aus zwei Färbereibetrieben  entstanden, die schon zuvor das weiche Wiesenwasser genutzt hatten. Die «Stücki» war zeitweise eines der schweizweit grössten Textilunternehmen. Nach dem Bau einer chemischen Fabrik und dem Gaswerk Kleinhüningen (1930) war der riesige westliche Teil des ehemaligen Gemeindebanns vollständig industrialisiert. Aber auch die Wiesen und Matten zwischen dem ehemaligen Dorf und dem Rhein gibt es heute nicht mehr. Sie mussten dem Rheinhafen weichen.

Der Rheinhafen

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Ankunft des ersten Dampfschiffes in Basel am 28. Juli 1832. Staatsarchiv Basel-Stadt, BILD 13, 148

Die jahrhundertealte Rheinschifffahrt, der Basel ihren Ruf als Handels- und Transitstadt verdankte, war in der Mitte des 19. Jahrhunderts zum Erliegen gekommen. Zwar legte 1832 mit der «Stadt Frankfurt» erstmals ein Dampfschiff an der Schifflände an, aber die daraufhin eingerichtete regelmässige Schiffsverbindung nach Strassburg war äusserst kurzlebig. Schuld waren nicht nur der Siegeszug der Eisenbahn, sondern auch die diversen Rheinkorrekturen im 19. Jahrhundert. Dadurch erhöhte sich die Fliessgeschwindigkeit des Flusses erheblich, und der Oberrhein zwischen Strassburg und Basel galt für die modernen Motorschiffe als unpassierbar. 1903 gelang dem Pionier der modernen Rheinschifffahrt, Rudolf Gelpke, der Nachweis, dass dem nicht so war. Nach seiner Fahrt mit dem Schraubendampfer Justitia zur Schifflände wurde die Planung von Hafenanlagen an die Hand genommen. Als erstes wurde zwischen 1906 und 1911 der Hafen St. Johann gebaut. Drei Jahre später begann die Planung der grossen Hafenanlage in Kleinhüningen.

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Rheinhafenanlage Basel-Kleinhüningen, 1917. Staatsarchiv Basel-Stadt, PLA 50, 7-2

Die Übersichtskarte aus dem Basler Staatsarchiv zeigt den Stand des Projekts im Jahre 1917. Zwei Jahre später wurde mit den Aushubarbeiten für das Hafenbecken begonnen; 1922 legte schliesslich das erste Schiff in Kleinhüningen an. Zwischen 1936 und 1939 wurde der Hafen durch ein zweites Hafenbecken erweitert, der Aushub wurde am anderen Ende der Stadt für die Stehrampen des Fussballstadions St. Jakob verwendet. Beinahe gleichzeitig entstand der Rheinhafen Birsfelden.

Mittlerweile wickelt der «Port of Switzerland» (Kleinhüningen, Birsfelden, Muttenz) gut 10 % des gesamten schweizerischen Aussenhandelsvolumens ab. Auch wenn sich mit der modernen Containerschiffahrt vieles verändert hat, so hat man doch immer noch den Eindruck, in Kleinhüningen rieche man das Meer…

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Rheinhafen Kleinhüningen mit Getreidesilo, zwischen 1902 und 1937. Staatsarchiv Basel-Stadt, BSL 1012 807

Ein Beitrag von Peter Habicht im Rahmen der Serie Strassengeschichten.

Ein Kommentar zu “Strassengeschichten. 9: Kleinhüningen”

  1. Yves Imhof sagt:

    Ein Kuriosum war auch die Ebersteinerstrasse (im Plan von 1905 projektiert zu sehen), welche von 1899-1930 in Form von 1 Haus mit der Nr. 6 existierte; das Haus wurde Ende des 19. Jahrhundert gebaut und gehörte bis 1915 der verwitweten Gemüsehändlerin Friederike Marx-Schuh, die es dann altershalber für Fr. 29’200 der Stadt Basel zuhanden vom Gaswerk verkaufte, zusammen mit 2’043.5m2 Land – dies war nur so breit wie das Haus entlang der Ebersteinerstrasse, reichte aber damals von der südlichen Strassenseite bis fast zur Landesgrenze im Norden (zu welcher ein Bauabstand von 10m einzuhalten war). Die Strasse war einfach gebaut und hatte keine Beleuchtung (die nächste Lampe war 100m vom Haus entfernt; während dem Bau vom Gaswerk-Bahnanschluss mussten die Bewohner im Dunkeln Erdwälle überqueren – im Jahr 2006 wurde ein Erdbeben von einem Geothermik-Bohrloch ausgelöst, das ebenfalls 100m von der ehemaligen Ebersteinerstr. 6 liegt). Das Haus war gut unterhalten und der Kaufpreis wurde als “sehr mässig” eingestuft (für den Aufkauf vom Industriegebiet hatte das Gaswerk ein Budget von Fr. 200’000). Es wurde teilweise ab 1908 von Frau Marx-Schuh vermietet, welche selber noch bis 1925 darin lebte und dann auszog. Sehr wahrscheinlich wurde das Haus 1930 der zuführenden Friedlingerstrasse zugeteilt und bekam die Nr. 41, die letzten Bewohner der Ebersteinerstrasse waren somit Seilermeister Reinhard Huber-Bürgelin mit Familie, sowie Schraubenmacher Matthias Bader – Reinhard Huber arbeitete bei Johann Jakob “Jacques” Uehlinger, dessen Seilerbahn knapp 150m weiter nördlich am Friedlingerweg lag, und der einen Seil/Fischerei-Laden an der Greifengasse 8 hatte, den Huber später übernahm.
    Das Haus wurde wohl 1939 anlässlich der Fertigstellung vom Hafenbecken II abgerissen (der letzte Bewohner war der Musiker Georg Antony-Tschudin). Die gekürzte Friedlingerstrasse wurde dann nur noch “-weg” genannt (wie früher der Abschnitt zwischen der Ebersteinerstrasse und der Grenze), und verschwand Ende 40er-Jahren für die Schaffung der Schäfermatte und Sozialwohnungen an der neuen Südquaistrasse.
    Quellen: StABS Bau Q 8 1911-16 Reg.-Contr. XII l17 Gaswerk Basel; Familie Huber
    Bilder: StABS BALAIR 2141W; BALAIR 3069W

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