Ein Gastbeitrag von Ulrich Tromm
Gut einen Monat nach den Ausschreitungen des Novemberpogroms in Lörrach richtet Hans Meier-Juliusberger am 14. Dezember 1938 ein Gesuch an die Basler Fremdenpolizei, seinen in Lörrach wohnhaften Schwiegereltern Frieda und Arthur Juliusberger die Einreise und den Aufenthalt in Basel zu bewilligen: „Meine Schwiegereltern sind zufolge der antisemitischen Haltung in Deutschland in größter Gefahr.“
Gewissermaßen um die Fremdenpolizei zu beruhigen, dass es sich nur um einen vorübergehenden Aufenthalt in Basel handeln würde, fügte Hans Meier-Juliusberger hinzu: „Meine Schwiegereltern haben sich auch dafür beworben, nach Palästina übersiedeln zu können. Doch liegt diesbezüglich noch keine Antwort vor. Falls nur eine beschränkte Aufenthaltserlaubnis in Betracht käme, würde ich dafür sorgen, dass sich meine Schwiegereltern später in einem anderen Land ansiedeln könnten“ Für ihren Unterhalt sei für die Dauer ihres Aufenthalts in jedem Fall gesorgt.
Der Gesuchsteller schließt mit einem eindringlichen Appell: „Ich darf aber wohl annehmen, dass die eigenen Eltern bzw. Schwiegereltern, die niemandem zur Last fallen und schon betagt sind, in der Not zu ihren Kindern kommen können.“
Die Fremdenpolizei stellt nun ihrerseits Erhebungen über die Vermögensverhältnisse des Gesuchstellers an. Aber ein anderer Gesichtspunkt sollte sich als entscheidend erweisen: Könne eine Ausreisegarantie geleistet werden? Und eben diese Belege der zeitnahen Ausreise des Ehepaars Juliusberger nach Palästina konnte der Antragsteller nicht vorweisen. Denn wie auch? Großbritannien, die Mandatsmacht für Palästina, teilte Visa für die Einreise von jüdischen Einwanderern nur sehr restriktiv zu. [1] Fazit: „Das Gesuch wird kurzfristig zurückgezogen, da die Belege für die Auswanderung nicht beigebracht werden können.“ So geschehen am 22. Februar 1939.
Am 16. Juni 1941 nimmt ein in Basel lebender Bruder von Frieda Juliusberger, Heinrich Wohl-Wortsman[2], den Faden wieder auf. In einem handschriftlich verfassten Schreiben an das Polizeidepartement Basel schildert er die Lage seiner Schwester, Frieda Juliusberger, geb. Wohl. Wie alle noch verbliebenen Lörracher Juden wurden Frieda und Arthur Juliusberger am 22. Oktober 1940 in das Lager Gurs im damals unbesetzten Vichy-Frankreich deportiert. Wenngleich ihre in Basel lebenden Verwandten das Menschenmögliche unternahmen, dem Ehepaar Unterstützung zukommen zu lassen, sei es in seiner Gesundheit gefährdet.
Den bereits zuvor von der Tochter des Ehepaares gegebenen Garantien für den Unterhalt von Frieda Juliusberger tritt Heinrich Wohl mit einer eigenen Garantierklärung bei und weist darauf hin, dass seine Schwester in der Schweiz über ein eigenes aus einer Erbschaft stammendes Vermögen verfügt. Den Basler Arbeitsmarkt würde Frieda Juliusberger nicht belasten. Für Arthur Juliusberger würde kein Einreisegesuch gestellt. Er verfolge den Plan der direkten Ausreise zu seiner Tochter in Palästina lebenden Tochter.[3] In der Folge werden nun bei der Steuerverwaltung des Kantons Basel Stadt Auskünfte über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der beiden Garanten sowie über den Umfang des durch Erbschaft[4] erworbenen Vermögens von Frieda Juliusberger eingeholt. Und der als Referent im Gesuch angegebene Altquartierschreiber „kann das vorliegende Gesuch bestens empfehlen.“
Am 11. Juli 1941 erteilte die Eidgenössische Fremdenpolizei Frieda Juliusberger die Bewilligung der Einreise in die Schweiz über die Einreisestelle Genf-Eaux-Vives. Das schweizerische Konsulat in Toulouse wurde von der Entscheidung in Kenntnis gesetzt. Am 9. August schließlich reiste Frieda Juliusberger mit Sauf-Conduit von Pau kommend in die Schweiz ein und nahm ihren Wohnsitz bei der Familie ihrer Tochter in Basel. Ihren Lebensabend verbrachte sie im jüdischen Altersheim La Charmille in Riehen, wo sie am 16. Mai 1960 verstarb.
Arthur Juliusberger wurde am 22. August 1942 gemeinsam mit 1003 in Gurs internierten Juden von Gendarmen der Vichy Regierung mit dem sogenannten Convoi 18 [5] in das Sammellager Drancy bei Paris überstellt und dort der SS übergeben. Sein genaues Todesdatum in Auschwitz konnte nie geklärt werden.
[1] Es gab drei Arten von Visen: für Kinder und Jugendliche, die im Rahmen der sogenannten Jugendalijah ohne ihre Eltern nach Palästina gelangten, „Arbeiterzertifikate“ für junge Leute, die sich zuvor hatten für landwirtschaftliche Arbeiten umschulen lassen, und sog. Kapitalistenzertifikate für vermögende Einwanderer. Ab Mai 1939 war Palästina schränkte die Weißbuch Politik der britischen Mandatsmacht die jüdische Einwanderung nach Palästina insgesamt ein.
[2] Heinrich Wohl-Wortsmann ist in den Adressbüchern des Stadtkantons Basel ab 1913 als Inhaber des Herren- und Knaben Konfektionshauses Heinrich Wohl in der Greifengasse 1 unweit der Mittleren Rheinbrücke in Basel nachgewiesen. In Lörrach hatte Heinrich Wohl ab 1901 in der Turmstrasse 20 ein ähnliches Kaufhaus geführt, welches später von seinem Schwiegersohn, Arthur Juliusberger, weitergeführt wurde. Heinrich Wohl und seine Familie erwarben 1921 die schweizerische Staatsbürgerschaft. Quelle: Staatsarchiv Freiburg, B 719/1 1831
[3] Das Ehepaar Juliusberger hatte zwei in Waldshut geborene Töchter. Die ältere von Beiden wanderte 1934 nach Palästina aus.
[4] Es handelt sich um den Nachlass des verstorbenen Bruders von Frieda Juliusberger, Felix Wohl.
[5] Serge Klarsfeld, Le Mémorial de la Déportation des Juifs de France
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