Ein Beitrag von Hans-Dieter Gerber
Ab ca. 1920 tritt Lothar Jeck als Sportfotograf in Aktion. Bis dahin ist die Sportberichterstattung in der Schweiz ein Nischenprodukt, das sich vor allem in den Verbands- und Vereinsorganen niederschlägt. Nach dem Ersten Weltkrieg ändert sich dies: Die «Schweizer illustrierte Zeitung» publiziert vermehrt kurze Bildreportagen zu Sportereignissen und die Tageszeitungen berichten regelmässiger über Sport als je zuvor. Ab 1920 beschäftigt die Basler National-Zeitung in der Person von Fred Jent erstmals einen Sportredaktor. 1929 erscheint die Sportzeitschrift «Sport-Illustrierte», die der ehemalige Spieler des FC Basel Ernst Kaltenbach mitbegründet und von Basel aus redaktionell leitet.
Die wachsende Nachfrage nach Sportnachrichten steigert auch den Bedarf an Bildmaterial und Lothar Jeck profitiert davon. Seine Bilder werden regelmässig in der «Schweizer illustrierten Zeitung» und in der «Sport-Illustrierten» publiziert. Dabei setzt er sich mit der Frage auseinander, wie er sportliche Betätigungen und Bewegungen adäquat in seinen Momentaufnahmen darstellen kann. Da die Sportfotografie noch in Kinderschuhen steckt, kann sich Jeck nur an wenigen Vorbildern orientieren, darunter aber immerhin auch an seinem Lehrmeister Wilhelm Dierks, der schon in den 1900er Jahren Sportmotive fotografiert hatte. Jeck probiert verschiedene Herangehensweisen aus, um die Essenz des Sports im Bild festzuhalten. Sein Experimentieren ist sichtbar.
Die aufmerksame Betrachtung seiner Bilder erlaubt es, eine Typologie seiner Vorgehensweisen festzustellen:
1) Der Standard
Zum Standardrepertoire eines Sportfotografen gehören die Gruppenporträts der Teams vor Spielbeginn. Auch Lothar Jeck bedient die Nachfrage nach solchen Bildern.
2) «Meierisli-Turnen»
Athletinnen hat Lothar Jeck nur selten abgelichtet. Wenn er sie in den Sucher nimmt, dann in der Regel nur so, wie es das zeitgenössische Empfinden in der Schweiz erlaubt: als so genannte «Meierisli-Turnerinnen», spielerisch, mit Leichtigkeit, tänzerisch, oft mit einem Lächeln im Gesicht und nur selten angespannt oder angestrengt.
3) Klimax / Stillstand
Jeck fotografiert springende Athleten auf dem Höhepunkt der Flugphase, oft leicht von unten mit viel Himmel im Hintergrund. Auf den Bildern wirkt dies oft als ob die Sportler und/oder das Sportgerät in der Luft hängen. Die Zeit scheint still zu stehen.
4) «Rieseneffekt»
Jeck fotografiert die Athletinnen und Athleten aus der Froschperspektive vom Boden aus. Sie wirken dadurch viel grösser als sie tatsächlich sind.
5) Dreimal Bewegung und Geschwindigkeit
Erstens, die Körper der Athletinnen und Athleten sind mit Energie geladen, die Anspannung impliziert die folgende Bewegung, ohne dass die Bewegung selbst abgebildet wird. Ähnlich funktioniert dies, wenn die Bewegung gerade vorbei ist und nur noch der letzte Moment der Energieentladung festgehalten wird.
Zweitens, die Körper scheinen stillzustehen, aber Elemente wie Sägemehl, Staub oder Wasser wirbeln oder spritzen und deuten die Bewegung und Geschwindigkeit an, ähnlich wie das von Comiczeichnungen bekannt ist.
Drittens, Jeck folgte mit der Kamera der Bewegung der Athleten, so dass nur diese scharf auf dem Bild zu sehen sind. Der Vorder- und Hintergrund bleibt verschwommen und impliziert so Bewegung und Geschwindigkeit.
6) Surreale Effekte
Ob der Zeppelin scheinbar die Fahnenstange küsst, der Weitspringer täuschend die Hürden auf der Laufbahn überspringt oder der Turner perfekt auf dem Abhang im Hintergrund zu stehen vorgibt, die perspektivischen Spielereien dieser Bilder wirken surreal. Es ist unklar, ob diese Effekte gewollt sind oder nicht.
7) Das Publikum
Die Spannung und das Drama eines Wettkampfes liest sich am besten in den Gesichtern des Publikums. Jeck ist sich dessen bewusst und hält die Gefühlsregungen der Zuschauerinnen und Zuschauer fotografisch fest. Um das besondere Gefühl der Masse der satt gefüllten Stadien zu vermitteln, begibt er sich manchmal auf die Ränge und lichtet das Publikum aus seiner Mitte ab.
Es lohnt sich, die Sportfotografien von Lothar Jeck zu entdecken, sie genau zu betrachten und wirken zu lassen, darin das aus heutiger Sicht Fremde aber auch das Bekannte zu erkennen. Es sind die fotografischen und filmischen Darstellungen und Inszenierungen der Athletinnen und Athleten, die ihnen damals und heute «Starpower» verleihen. Lothar Jeck ist einer, der am Anfang dieser Entwicklung dabei war und sie mitprägte.
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