Ein Wort zum Bild: Der Dings, na ja, der halt

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Allgemein, Blogserie, Historische Fotografie

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Zwei Cartes de visites aus dem Atelier Jakob Höflinger, Basel, zwischen 1860 und 1870. Staatsarchiv Basel-Stadt, Fotoarchiv Höflinger

Die digitale Fotografie ist stark geprägt von der Bildbearbeitung. Die Annahme, die Vergangenheit der analogen Fotografie sei frei davon, ist bekanntlich eine Illusion. Ein Beispiel: Technische Neuerungen und erste Entwicklungen fotografischer Standards ermöglichten in den späten 1850er-Jahren die Lancierung des Porträts im Cartes-de-visite-Format. Diese Porträtaufnahmen im Kleinformat wurden, aufgeklebt auf Karton, gleich dutzendweise verkauft. Bereits in den frühen 1860er-Jahren wird der Verkauf der Cartes de visite auf mehrere hundert Millionen geschätzt. Zur Cartes-de-visite-Aufnahme gehörte dieAusstaffierung des Bildraums nach Wunsch der gutbetuchten, meist grossbürgerlichen Kundschaft. Die Requisitensammlung des Fotografen umfasste Säulen, Balustraden, Teppiche, Mobiliar, Vasen, Nippes, ganze Bibliotheken, gemalte Hintergründe, Vorhänge, Pflanzen und sogar ganze Kostümierungen.

Dem Wunsch nach tadellosem Äusseren kam ab 1870 die immer häufiger praktizierte Negativretusche entgegen. Alles Störende, das durch die Pose nicht zu beseitigen war, erledigte die Retusche. Retuscheure avancierten innert kürzester Zeit zu den wichtigsten Mitarbeitern im Atelier. Sie arbeiteten der allzu genauen Wiedergabe des Originals systematisch entgegen und beseitigten nebst technischen Mängeln mit Bleistift und Tusche die Schönheitsflecken, schiefen Nasen, Falten, Fettpolster der Kundschaft direkt auf dem Negativ. Fast schrankenlos setzten sich in der Atelierfotografie die  Mechanismen der Maskierung, Idealisierung und der Repräsentation gegen die allzu genaue Wiedergabefähigkeit der  Fotografie durch. Das, was wir auf diesen Fotos erblicken, ist nicht die Wiedergabe einer Physiognomie. Wichtig war einzig, dass der Abstand zwischen Original und Wiedergabe nicht der Ähnlichkeit widersprach. Interessanterweise also verschwand das Individuum genau in jenem Abbild, in dem es zu erscheinen vorgab. Der Komiker Karl Valentin traf im Witz den Kern der Sache: «Der Dings, na ja, der halt, der braucht gar nicht mehr kommen, den photographieren mir gleich auswendig!»

Dieser Beitrag von Staatsarchivarin Esther Baur erschien erstmals im Mitarbeitermagazin der kantonalen Verwaltung 7/2010.