Basel war einst an der Spitze: «Wenn man den Archivbau in der Schweiz während der letzten gut 100 Jahre überblickt, kann man in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwei markante Meilensteine feststellen. Den ersten bilden die Neubauten des Bundesarchivs in Bern und des Staatsarchivs von Basel-Stadt um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert». So steht es im Sammelband «Archivbauten in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein 1899–2009» nachzulesen. Denn in Basel wurde 1899 ein moderner Archivzweckbau errichtet, erstmals in der Schweiz. Fast 125 Jahre später schickt sich Basel erneut an, ein Archiv neu zu bauen. Zeit für einen kurzen Rückblick.
Eingangssituation um 1940. Staatsarchiv Basel-Stadt, NEG 21052.
Für ahnungslose Touristen ist das Staatsarchiv ein beliebtes Fotosujet. Der mächtige Bau mit seinen verwinkelten Dächern, seinem massiven Gittertor und dem romantischen Kreuzgang verkörpert sozusagen ‹Geschichte›. Der Eindruck von Alter und Macht ist kein Zufall. Denn der geistige Vater und langjährige Staatsarchivar, Rudolf Wackernagel, war ein Kind seiner Zeit.
Hinter dem Rathaus
Das Staatsarchiv entstand 1899 im Zuge der Rathauserweiterung. Zuvor befand sich hier der Rathausgarten. Der Neubau glich sich dem Frührenaissance-Stil des Rathauses an, ergänzt durch weitere Stilelemente wie Kreuzgang, Wasserspeier oder Kapitelle, die das St. Alban-Kloster und das Münster zitieren. Für die Innenausstattung verwendeten die Architekten historische Versatzstücke, Decken und Gewölbe wurden mit ornamentalen Verzierungen ausgeschmückt. Zugleich aber war das Archivgebäude ein durch und durch funktionaler Zweckbau – das erste Archivgebäude der Schweiz, dessen Räume spezifisch auf die Bedürfnisse eines Archivs hin zugeschnitten wurden.
Im Herzen der alten Stadt
Rudolf Wackernagel (1855–1925), der sein Amt als Staatsarchivar als 22-Jähriger antrat, nahm starken Einfluss auf die bauliche Gestaltung. Bis zum Baubeginn befand sich sein Wohnhaus im Rathausgarten. Wackernagel, gleichzeitig auch Staatsschreiber, arbeitete und wohnte im Herzen der alten Stadt. Nicht zuletzt durch die Heirat mit der Arzttochter Elisabeth Burckhardt war er eng verbunden mit dem alten Grossbürgertum. Wenn es um das ‹alte Basel› und die Geschichte ging, war Wackernagel dabei: ob in Zunft, Geschichtsverein, Museum- oder Münsterbauverein. Aufgewachsen war der Staatsarchivar noch unter dem alten Ratsherrenregiment. Dessen konservativer Geist wird in Wackernagels Archivplan spürbar: Er legte ein Akten-Ordnungssystem an, das die Verhältnisse des alten Basels scheinbar organisch sowohl auf die gegenwärtige, als auch auf die künftige Zeit projizierte.
Funktionales Inneres
Ganz anders als die äussere Gestalt entsprach die innere Form damals modernen Vorstellungen. Der Gesamtbau war zweckorientiert in drei Teile gegliedert: das Aktenmagazin, den Verwaltungsbau mit Leseräumen und dem Hallenbau mit Spezialsammlungen. Punkto Tragfähigkeit, Brandschutz und Funktionalität verkörperten die Magazinräume neueste Ansprüche im Archivbau. Man trennte Verwaltungs- und Magazinräume konsequent, durch Brandmauern und massive Eisentüren. Das erhöhte die Sicherheit und ermöglichte eine bessere Raumausnutzung (unterschiedliche Geschosshöhen). Für die Ausstattung der Magazinräume orientierten sich die Erbauer an den Eisengestellen, wie sie damals die Universitätsbibliothek gerade eingeführt hatte. Im 20. Jahrhundert wurde das Archivgebäude nur wenig verändert. Der Magazintrakt wurde 1960–1966 durch zwei Kellergeschosse ergänzt, 1999 wurden das Dachgeschoss ausgebaut und im Lesesaalbereich Raumaufteilungen verändert.
Umbau 1961. Staatsarchiv Basel-Stadt, BSL 1013 1-1579 1.
Neue Bauten, neue Archive?
Im Wesentlichen hat das einstige Pioniergebäude über 100 Jahre lang seinen Zweck erfüllt. Dem anhaltenden Platzproblem begegnente man mit immer mehr externen Provisorien. Heutigen Standards in Sachen Klima, Sicherheit, Betriebswirtschaft und Benutzerfreundlichkeit genügt das Statsarchiv-Gebäude an der Martinsgasse 2 in Basel aber in keiner Hinsicht mehr. Hier wird das neue Archivgebäude neue Zeichen setzen. In der Schweiz gab es im 21. Jahrhundert nur wenige komplette Neubauten von Archiven, also Bauten, die über eine Erweiterung oder einen Umbau bestehender Gebäude hinausgingen: das Stadtarchiv Baden 2007, das Liechtensteinische Landesarchiv 2009 oder das Stadtarchiv Luzern 2015. Es bleibt eine grosse und offene Herausforderung, das Archiv des 21. Jahrhunderts (das «Archiv 21») von Grund auf neu zu bauen – und neu zu gestalten. Für das Staatsarchiv Basel-Stadt heisst das, in einem ganz anderen Kontext als 1898 zu bauen, in einer ganz anderen Nachbarschaft, frei von Historizismus des 19. Jahrhunderts, als Teil einer sich rasant verändernden Stadt- und Informationslandschaft.
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