Propagandaplakat zur Abstimmung über das baselstädtische Steuergesetz 1921. Staatsarchiv Basel-Stadt, Politisches JJ 9
„Die Abstimmungs- und Wahlplakate sind bei uns noch grossenteils nur in etwas grösseren Lettern gedruckte langatmige Leitartikel, die der Bürger besser in seinem Leibblatte zu Hause liest, ohne dass er sich vor den Anschlagsäulen im Winter kalte Füsse und im Sommer den Sonnenstich holen muss, oder dann bestehen sie in an sich unwirksamen Kandidatenlisten, die mehr der Dekoration als der Werbung zuliebe noch mit einigen Parteiphrasen verbrämt sind … Das künstlerische politische Plakat soll und kann aber jeden auf der Strasse gedankenlos Vorbeibummelnden oder gedankenschwer Vorüberhastenden mit telepathischem Griffe fesseln, sein Gehirn durch ein kurz orientierendes Schlagwort in die gewollte politische Richtung drängen, sein Herz durch die Schönheit und Anmut eines Bildes gewinnen, sein Interesse durch den Witz satirischer Verstellung erhaschen, den Abscheu vor der ‚anderen‘ Richtung durch illustrative Darstellung der Konsequenzen gegnerischer Gedankengänge und der Schwächen ihrer bisherigen Taten und Persönlichkeiten erregen, oder durch dekorative und symbolische Glorifizierung der besonderen politischen Idee die Sympathie für die eigene Sache gewinnen und bestärken.“ So steht es geschrieben in der 1920 in Basel herausgegebenen Broschüre „Das künstlerische politische Plakat in der Schweiz„.
Die Wirksamkeit sei gerade jetzt im Nachbarland zu beobachten, schreibt der Verfasser Edwin Lüthy (Direktor der Allgemeinen Plakatgesellschaft) weiter. „Das politische Plakat ist die am meisten in die Augen fallende Erscheinung der deutschen Revolution“. In der kriegsverschonten Schweiz sei die sozialdemokratische Partei vorangegangen, und spätestens seit der Nationalratswahl 1919 bedienten sich alle Parteien dieses Mittels.
Museumsnacht 2018
Was das mit dem Staatsarchiv zu tun hat? Nun, viele der in der Broschüre abgebildeten Plakate finden sich auch in Archivbeständen. Als Dokumente der damaligen Politkultur, nebst traditionellen Wählerlisten und Flugblättern. Im Hinblick auf die „Jubiläumsjahre“ 1914 / 1918 / 1919 hat das Staatsarchiv Basel-Stadt im Rahmen des Digitalisierungsprojekts Sicherung & Nutzbarmachung einige dieser Bestände digitalisiert und online gestellt. Fündig wird man vor allem im Bestand Politisches JJ 9 Politische Plakate und Flugschriften. Aber auch in Privatarchiven wie jenen der Seidenbandindustriellen De Bary oder Seiler La Roche.
Die Wucht solcher Propagandaplakate lässt sich im Archiv auch ganz real erleben: an der Museumsnacht vom 19. Januar 2018. Unter dem Motto „Klassenkampf“ werden Archivdokumente zu den sozialpolitischen Umbruchsjahren nach 1917 präsentiert. Mag sein, dass man sich angesichts dieser plakativen Politkultur aus dem letzten Jahrhundert an jüngere Kampagnen erinnert fühlt …
Gut zu wissen, dass bereits 1920 kritische Stimmen laut wurden. So spottete eine Fasnachtszeitung über die erwähnte Nationalrats-Plakatkampagne von 1919: „Die hyperneue Kunst der Sozen / Bringt einem nahezu zum — gerben / Mit gleichem Kunstverständnis werben / Die kultivierten Bürgerprotzen“.
„Die Basler Nationalratswahl,
Potz Chaib! Das war kein Wunder –
Was da an Bildern zu sehen war,
Das grenzte an ein Wunder.
Es gab keine Wand, es gab kein Brett,
An dem nicht ein Bildwerk hängte;
In allen Farben schillerte es,
Was sich da zusammendrängte.
Die rote Fahne sah man grell
In derben Arbeiterhänden –
St. Jakobs Burkhard Münch zu Pferd
Sah man an allen Wänden.
Der Rütlischwur, der Bergkrystall
Sollte die Geister betören –
Daneben sah man die Stauffacherin
Den faulen Wähler beschwören.
Die gute Dame Helvetia
Wehrt ab die Bolschewisten –
Und selbst der Papa Wilhelm Tell
Verwies auf sieben Listen.
Papier oder Arbeit, hiess ein Bild
Worauf die roten Broschüren
Ein ziemlich kräftiger Bourgeois
Tat etwas abseits führen.
Und eine graue Dame gar
Erschien so lieb, so friedlich,
Mit einer Aehre in der Hand –
Nicht g’rade schön, doch niedlich.
Und als gewaltiger Gegensatz
Ein Drache, wild und schaurig –
Wenn jetzt der Wahltag nicht lustig wird,
Dann wird er eben traurig.
Doch wie die Wahl ausfallen man,
Den Sozis und Liberalen;
Die Basler Maler rufen erfreut:
O gäb es doch oft solche Wahlen!“
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