Mord oder Selbstmord – und eine Nebenhandlung

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Allgemein, Aus dem Lesesaal

Am 28. Juli 1887 wurde um fünf Uhr in der früh ausserhalb der Stadt, an der damaligen Gundoldingerstrasse unterhalb des Magarethengutes, ein Unbekannter mit vier Schusswunden (zwei an der Stirn, zwei am Bauch) sowie zwei klaffenden tödlichen Schnittwunden an der rechten Seite des Halses und am linken Handgelenk aufgefunden. Da am Vorabend etwa um 22 Uhr in der Nachbarschaft vier Schüsse gehört worden waren, nahm man dies als Tatzeit an. Da der mutmasslich Ermordete, ein etwa 35-40 Jahre altes, schmächtiges Männlein von 162 cm Grösse und etwa 50 kg Gewicht, nicht identifiziert werden konnte, setzte das Polizeidepartement für die Entdeckung und Festnahme des Täters eine Prämie von 300 Franken aus. Die Fotos der Leiche wurden zusammen mit einem ärztlich gedruckten Befund an den Schaufenstern aller Zeitungsexpeditionen ausgestellt. Am 1. August konnte die Polizei vermelden, dass in Bottmingen ein Schirm und in Oberwil eine Pistole eines Emil Schweizer aus Bretzwil – ein oft bestrafter Vagant – versetzt worden sei und bereits am Folgetag, dass dieser verhaftet worden sei und als Täter ausscheide, er habe die Gegenstände bei der Leiche gefunden und sie bloss an sich genommen. Am 11. August 1887 kam der Untersuchungsrichter I des Kantons Basel-Stadt, Dr. iur. August Heusler, zu folgendem Schluss:

„Die Untersuchung hat durchaus keine weiteren Spuren ergeben, die auf einen Mord oder Totschlag durch fremde Hand deuten; dagegen sind eine Anzahl Tatsachen bekannt worden, welche die Annahme eines Selbstmordes wahrscheinlich machen; die in der Leiche gefundenen Kugeln passen zu dem Revolver, welcher der Leiche am Morgen des 28. Juli 1887 weggenommen und sodann wieder beigebracht worden ist. – Die tödlichen Verletzungen sind am Ort beigebracht worden, wo die Leiche gefunden worden ist und doch sind keine Spuren eines Kampfes am Boden sichtbar; in der Nähe wohnende Leute haben wohl schiessen, aber keinen Wortwechsel, Streit oder Geschrei vernommen. Liegt aber ein Selbstmord vor, so ist kaum etwas anderes anzunehmen, dass der Gestorbene ein Geisteskranker gewesen sei, eine Vermutung, die auch durch die bei der Sektion beobachtete Veränderung des Gehirns einigermassen bestätigt wird.“

Auf Grund von Schuhe und Kleidern konnte festgestellt werden, dass es sich beim Toten wahrscheinlich um einen Italiener handelte, dessen Identität konnte aber nie festgestellt werden.

Fotograf gesucht

StABS AL 45, 5-44-2, Berichthaus der Basler Nachrichten am Gerbergässlein (nach einem Bild von Niklaus Stöcklin) (1900)

Schaufenster der Basler Nachrichten. Staatsarchiv Basel-Stadt, AL 45, 5-44-2

Am Rande dieses Schicksals spielte sich noch eine skurrile Sittengeschichte ab: Wie die andern Zeitungen hängte auch die Basler Nachrichten die Fotografie des Toten in ihrem Schaufenster aus. Am 31. August meldete sich am Expeditionsschalter ein 34-jähriger Mann und behauptete, er wolle den Kopf darauf setzen, er habe den Mann, der hier in Fotografie ausgestellt sei, im Januar oder Februar d.J. fotografiert: er sei der Fotograf Bachmann aus New York und besitze die fotografische Platte des Bildes noch zu Hause. Sobald er nach Amerika zurückgekehrt sei, werde er der Polizei die betreffende Platte übersenden. Fotograf Bachmann wollte aber dies der Polizei nicht mitteilen, da er auf der Heimreise sei und keine Zeit mehr habe. Auf Veranlassung des Zeitungsangestellten begab sich aber Fourier Kappeler zur Abfahrtszeit des angeblichen Auslandschweizers auf den Centralbahnhof, denn Bachmann wurde von der Thurgauer Polizei steckbrieflich wegen Entführung eines Mädchens aus Amriswil, wo er vier Wochen verweilt hatte, gesucht. Der Vater des entführten, allerdings mehrjährigen Mädchens war demselben nachgereist und hatte die Spur der Beiden bis Basel verfolgt, die Polizei hatte am Dienstag Abend spät noch alle Gasthöfe durchsucht, aber von dem Pärchen nichts gefunden; „dasselbe scheint erst nach der Nachforschung hier eingetroffen zu sein“, schrieben die Basler Nachrichten am 2. September 1887. „Am Centralbahnplatz erfuhr Kappeler von einer Auswanderungsagentur, dass Bachmann eine Passagebillet für eine zweite Person gebucht habe, er selbst habe ein Retourbillet: Um 4¼ Uhr  kam nun endlich unser Fotograf mit seiner Geliebten im Omnibus des Hotels Schiff angefahren und wurde sofort von zwei Detektiven, Rauber und Bachmann, die sich auf dem Bahnhofplatz aufhielten, mit dem Mädchen verhaftet. Photograph Bachmann und seine Geliebte wurden noch am gleichen Abend wieder freigelassen, da bei der Mehrjährigkeit und dem freien Willen des Mädchens kein Verbrechen vorliegt. Ob und welche Mitteilungen Bachmann über die ermordete Persönlichkeit machen kann ist abzuwarten; immerhin ist anzunehmen, dass die erste Spur auf weitere führen wird.“

Am nächsten Tag, am 3. September 1887 schrieben die Basler Nachrichten: „Photograph Rudolf Bachmann, dessen Schicksale in Basel wir gestern erzählt haben, ist samt seiner Geliebten W. Sp. aus Amriswil wieder verhaftet worden, weil der Schutz, den das Baslerische Gesetz dem freien Willen eines mehr als 18-jährigen Mädchens gewährt, von den thurgauischen Gesetzen nicht anerkannt wird und die dortige Polizei die Verhaftung des Mädchens neuerdings verlangt, weil dasselbe unter der Anklage des Betrugs steht.“

Mehr zur Basler Polizeigeschichte

Dieser Beitrag stammt von Robert Heuss, ehemaliger stellvertretender Polizeikommandant und späterer Staatsschreiber. Auf die Mordgeschichte stiess er bei seinen Archivrecherchen für die am 21. Juni 2016 erschienene Publikation zur Basler Polizeigeschichte 1816-2016.