Ein Wort zum Bild: Fremdkörper im Magen

Diese Seite ausdrucken
Allgemein, Blogserie, Historische Fotografie

pibs-199-september-2008

«Röntgenaufnahme vom Magen eines Kamelhengstes, der am 6. Februar 1945 wegen Fremdkörpererkrankung getötet werden musste». Fotografie aus dem Fotoarchiv des Zoologischen Gartens Basel, Aufnahme Februar 1945, Fotograf unbekannt. Staatsarchiv Basel-Stadt, BSL 1001 A 1.66

Als Wilhelm Conrad Röntgen in den 1890er-Jahren mit Hilfe der Fotografie Strahlen nachweisen konnte, die vorher für das menschliche Auge überhaupt nicht sichtbar gewesen waren, lieferte er den endgültigen Beweis für die Visualisierungskraft der Fotografie. Die Röntgenfotografie eröffnete der menschlichen Wahrnehmung völlig neue Dimensionen und erbrachte den fotografischen Nachweis, dass etwas Unsichtbares gänzlich real sein konnte. Die vorliegende Röntgenaufnahme zeigt den Mageninhalt eines Kamelhengstes. Auch in diesem Fall bestand der unbestreitbare Vorteil der Röntgenfotografie darin, dass sie ohne physischen Eingriff den fotografischen Beweis für die Ursache der Erkrankung des Kamelhengstes erbringen konnte, und dass sie vielleicht sogar die nachträgliche Begründung darstellte, weshalb das Tier getötet werden musste. Möglicherweise löste die Frage, wie das Tier zu den doch erstaunlich zahlreichen Büroklammern und Nägeln in seinem Magen gekommen sein könnte, sogar eine zoointerne Untersuchung über die Kamelhaltung aus.

Die Röntgenfotografie hat meistens dokumentarischen Charakter. Ein (fotografisches) Dokument charakterisiert sich zunächst weder über seine Ästhetik noch seinen Stil, sondern vornehmlich über seine Funktion oder seinen Verwendungszweck. Unsere Röntgenfotografie erfüllt ihre Funktion als Dokument optimal, da ihre Bildinformation im Hinblick auf ihren Zweck und die besondere Absicht Sinn macht: Sie lieferte den Nachweis für die Krankheitsursache des Kamels, begründete zugleich die besonderen Umstände des Todes und dokumentierte einen unglücklichen Vorfall. Aber dokumentarische Fotografien entziehen sich unter Umständen trotzdem dem unmittelbaren Verständnis. Es ist fast unmöglich, Sinn und Zweck dieses eigentümlichen Arrangements von Nägeln und Büroklammern zu verstehen, wenn man nicht weiss, dass es sich erstens um eine Röntgenfotografie handelt, dass diese zweitens einen Kamelmagen darstellt und drittens, dass das Kamel unglücklicherweise Büroklammern und Nägel gefressen hat.

Dieser Beitrag von Staatsarchivarin Esther Baur erschien erstmals im Mitarbeitermagazin der kantonalen Verwaltung vom September 2008.