Vor kurzem ging es auf diesem Blog um die unglaublichen Details, die auf digitalisierten Glasplatten zum Vorschein kommen. Doch die Auflösung ist nicht das einzige Kriterium, auf das es bei der Digitalisierung ankommt.
Im Rahmen des Projekts «Sicherung und Nutzbarmachung» digitalisieren wir tausende kostbare, alte Glasnegative. Diese Glasplatten verfügen über einen viel höheren Kontrastumfang als moderne Filmnegative. Nur mit sehr hochwertiger Digitaltechnologie ist es möglich, den gesamten Reichtum an Grauabstufungen einzufangen.
Beispiel eines Glasplatten-Negativs aus der Negativsammlung des Staatsarchivs. Staatsarchiv Basel-Stadt, NEG A 4.
Beim Digitalisieren von Negativen hat man es mit verkehrten Verhältnissen zu tun. Anders als Mackie Messer in der Dreigroschenoper singt (Die im Dunkeln sieht man nicht), gilt beim Vergrössern von Negativen das Gegenteil. Die dunkelsten Stellen werden im Positiv zu dem, was man am besten sieht. Es gibt Negative, die sind so dunkel, dass man von blossem Auge keine Zeichnung ausmachen kann. Aber es sind genau diese Stellen, in denen sich wichtige Bildinformation verbirgt.
Mit einer sorgsamen Umsetzung der Grausstufen werden Details sichtbar, die zeigen, wie der Fotograf damals in das Bild eingegriffen hatte. So werden zum Beispiel in NEG A 4 (vergrösserter Ausschnitt) Retouchen des Fotografen sichtbar, die dazu dienten, den Kopf besser vom Hintergrund abzuheben.
Prof. Fritz Burckhardt, 1885 (NEG A 4)
Digitalisierung als Transmedialisierung
Die Geräte, die zur Digitalisierung verwendet werden, schreiben sich in die Bilder ein. Dies sieht man besonders gut bei Fotos, die vor mehr als zehn Jahren digitalisiert wurden. Das geschulte Auge sieht jede Menge von Artefakten. Heute sind die Geräte viel besser geworden und in zehn Jahren wird man über noch bessere Apparate verfügen. Diese Erkenntnis ist wichtig, denn sie zwingt zu einer Reflexion über den Transformationsprozess, der die Digitalisierung darstellt. Michel Pfeiffer von der HTW Chur spricht gar von Transmedialisierung. Dieser Begriff vermittelt die Idee, dass der Bildinhalt von einem Medium abgelöst und auf ein anderes übertragen werden kann. Diese Übertragungen finden jedoch nie verlustfrei statt. Im nächsten Beitrag werde ich über den Verlust an Bildinhalt eingehen, der bei einem Ausbelichten auf Mikrofilm und einem anschliessenden Zurücklesen entsteht.
Diese Glasplatte (NEG A 60) verfügt über Bildinformation, die mit einer Standard-Digitalisierung nicht sichtbar würde (linkes Bild). Der Himmel bleibt im dichten Schwarz des Negativs verborgen. Nur wenige Verfahren können mit so hohen Dichten umgehen.
Image encoding – image reproduction
Genau genommen ist die Digitalisierung nur die halbe Miete. Digitalisieren ist kein vollständiger Reproduktionsvorgang. Das Bild wird zwar digital codiert. Diesen Code kann man aber nicht sehen (höchstens lesen). Der digitale Code wird dann mit Hilfe einer Grafikkarte und eines Bildschirms visualisiert. Dieser zweite Schritt, die image reproduction, wird aber nur selten bedacht. Gerade wenn man sorgfältig digitalisierte Bilder im Internet zugänglich macht, ist das eine besonders schwierige Situation. Man hat keine Ahnung, wie die Bilder auf den Bildschirmen, Tabletts und Telefonen der User gerendert oder dargestellt werden. Viele Browser berücksichtigen nicht einmal die gängigsten Farbprofile. Hinzu kommt, dass Bildschirme nur einen geringen Kontrastumfang darstellen können (eine fundierte und gut verständliche Erklärung der Technik finden Sie hier). Das heisst, wir befinden uns heute in Bezug auf die Hell-Dunkelverteilung in einer ähnlichen Situation, wie bei den Glasplatten vor hundert Jahren: In den Files steckt mehr Information, als man gemeinhin sehen kann.
Der Graukeil verweist auf das Bild als Objekt
Wie geht man nun mit dieser Situation um? Einerseits weiss man nicht, wie die Bilder auf den Bildschirmen dargestellt werden, und andererseits überragen die Bilddaten das Darstellungsvermögen der Monitore. Es gibt mehrere Wege: Der radikalste wäre, man würde die Negative gar nicht ins Positive umkehren. So würde man sich auch nicht stören, wenn die Helligkeitsverteilung nicht dem Bild angepasst ist. Wendet man die Bilder aber zur besseren Lesbarkeit ins Positiv, so muss man wohl auch einer gewissen Erwartungshaltung entgegenkommen und Anpassungen vornehmen. Damit nimmt man eine Interpretation des Bildes vor. Man geht von gewissen Annahmen aus, wie die fotografierten Gegenstände in natura ausgesehen haben mögen. Da wir im StABS den zweiten Weg eingeschlagen haben und den jeweils besten Kompromiss zwischen image encoding und reproduction suchen, legen wir neben die Glasplatten einen Graukeil, der es erlaubt, diese interpretativen Manipulationen abzulesen. Wir schreiben sogar die Dichtewerte des Graukeils in die IPTC Metadaten. Mit dem Graukeil wird das Bild an die reale Welt zurückgebunden. Mehr noch: Das digitale Bild dokumentiert damit auch den Zustand des Objekts in sehr präzisen Weise. Man kann einen Helligkeitswert im Bild messen und am Graukeil die Dichte ablesen, die der Punkt auf der Glasplatte zum Zeitpunkt der Digitalisierung hatte. Dies ist besonders für Acetat- und Nitratträger interessant, die sich in einem Zersetzungsprozess befinden. Mit dieser Digitalisierungsmethode kommen wir den beiden Projektzielen nach: sichern und zugänglich machen.
Weil wir die Glasplattennegative auch als physische Objekte dokumentieren wollen, digitalisieren wir sie roh, das heisst mit viel Rand und ohne Zuschnitt auf das schöne Bild. Damit wird die Materialität und Fragilität dieser kostbaren Bildträger sichtbar.
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