Notizen einer Grönland-Expedition

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„15. Juli […] In weniger als 24 Stunden kam ich von der Champs Elysées nach Grönland, und erst noch an Ort und Stelle. […] Die Zelte werden aufgestellt und eingerichtet. Moser erlegt einen Hasen und Schneehuhn.“

Diese Worte hält Oliver Wackernagel 1958 in seinem Tagebuch fest, wenige Tage, nachdem er sein Advokatur-Examen bestanden hat. Er ist schon das zweite Mal Teil des Expeditionsteams um seinen Onkel Eduard Wenk. In Grönland werden Steine untersucht und dabei auch Landschaften zum ersten Mal von Menschen betreten.

„16. Juli […] Wenk und Co. gehen an der gegenüberliegenden Felswand Steine klopfen – Bernhard + ich schieben Zelt + Proviant an den nächsten See vor zum zukünftigen Camp 2. Kurz vor der Localität des zukünftigen Camp schiebt ein breiter Bach in prachtvollen Wasserfällen zum See hinunter – die Traverse bereitet Mühe + Schmerzen, da der Bachgrund aus grossen Gwäggi besteht. Die Füsse schmerzen im kalten Wasser. Auf dem Heimweg nehmen wir in einem stillen kristallklaren See mit nicht durchfliessendem Wasser ein Vollbad – es ist ca. 12 Grad.“

„19. Juli […] Zusammenpacken + Aufbruch nach Camp II. Ich trage 31 kg, noch etwas ungewohnt.“

Der von Oliver Wackernagel liebevoll „Wenkie“ genannte Eduard Wenk widmet sich seiner Korrespondenz.

Zu Oliver Wackernagels Aufgaben gehören das Verschieben von Zelten und Proviant, sowie auch das Tragen – oder wohl eher Schleppen – der geologischen Funde. Spektakulär auf der 1958er-Expedition sind Steinfunde aus dem sogenannten Archaikum. Es handelt sich um einige der ältesten Steine der Welt, nebst Funden aus Kanada, wie Wackernagel in seinem Tagebuch festhält.

Eine ganz zentrale Aufgabe ist es für den jungen Oliver Wackernagel auch, für das kulinarische Wohl der Truppe zu sorgen. Die Aufgabe gestaltet sich in der rauhen Landschaft nicht immer ganz einfach. Pilze und Beeren müssen gesucht werden, Hasen und Gänse werden eigens mit dem Gewehr gejagt und erlegt.

„1. August […] Das Wetter ist […] halbwarm, noch hängen […] Wolken, sodass es ebensogut zum Schlechten wie zum Guten kehren könnte. Vorerst wird aber gemütlich und tüchtig zmorgen gegessen, dann wird in Ruhe Korrespondenz getrieben, denn morgen kommt der Morsemann und Briefträger. Vorläufig harren 14 Episteln der Beförderung. […] Im Camp beginnen die Vorbereitungen des Festmahls zu Ehren von Mutter Helvetia. Vorerst muss ich die Gans rupfen, braucht exact eine Stunde, und dann wird das Biest mit stumpfem Messer […] in Stücken zerlegt übergetan; diesmal wird es nicht wie die letzte in Anken in der Goldwäscherpfanne ganz gebraten, sondern angebraten und dann nass weitergekocht. […] Und dann beginnt das vaterländische Spiel. […] Der Jass endet klar unentschieden um 2.30 […]“

Im Gespräch erzählt Oliver Wackernagel Jahrzehnte später mit leuchtenden Augen von einer besonderen Ehre, die ihm auf dieser Expedition zuteil kommt. Er darf in vorher noch von Menschenhand unberührtem Gebiet einen Hügel mit einem Namen versehen. Aufgrund des 2000-jährigen Bestehens von Basel wählt er den Namen des angeblichen Stadtgründers – Munatius Plancus. Auf der Karte von Grönland ist dieser Ort als „Munatius Plancus Tinde“ zu finden.

Die Expedition endet für Oliver Wackernagel mit dem Beginn der Heimreise am 9. September 1958. Er hat gut eineinhalb Monate in rund zehn verschiedenen Camps verbracht. Post kommt jeweils in Abständen von mehreren Tagen oder Wochen, wenn der „Morsemann“ per Flugzeug den Weg zum Camp findet.

Weitere Bildzeugnisse dieser aussergewöhnlichen Reise finden sich im fotografischen Nachlass Oliver Wackernagels (PA 82g E 2) und im Nachlass von Eduard Wenk (PA 1121a F 4-1).

Dieser Beitrag wurde von Kerstin Brunner, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Staatsarchiv Basel-Stadt, verfasst. Sie hat den fotografischen Nachlass von Oliver Wackernagel erschlossen.