Thomas Jenny ist es gewohnt, Dinge auf den Punkt zu bringen. Der Leiter des in Basel beheimateten Radiosenders Radio X steht in der Ausstellung Magnet Basel und formuliert zielsicher, was die Lektüre des Fremdenpolizeidossiers von Carl Laszlo bei ihm ausgelöst hat: «Die Frage stellt sich, was machen wir heute mit einem Menschen wie diesem?».
Leben trotz allem
«Es hiess, nach Auschwitz seien keine Gedichte mehr möglich. Aber dann lese ich die Lebensgeschichte von Carl Lazlo, und ich denke: Für ihn war ein Leben nach Auschwitz möglich. Und was für eines! Das ist eine befreiende, inspirierende Erfahrung. Dass jemand mit einer solchen Jugend, dem KZ entronnen und in der Schweiz gelandet, sein Leben derart in die Hand nimmt, Dinge ausprobiert, sich verändert … Vom auf Zeit geduldeten Studenten zum anerkannten Kunstsammler: Das können wir mit unseren Schweizer Biografien gar nicht begreifen. Natürlich waren auch mir Wege vorgezeichnet, aber eben mit ganz anderen Hürden, ohne derart existenzielle Herausforderungen.»
Die Geschichte von Carl Laszlo wurde von Lea Gross illustriert. Hier sind Ausschnitte davon zu sehen.
Hinschauen, Handeln
«Heute vergeht ja kein Tag, an dem wir nicht von den Leiden der Migration hören. Vor unserer Haustüre ertrinken Flüchtlinge und Verfolgte im Meer, so wie sie damals vor unserer Haustüre in den Tod deportiert wurden. Und was machen wir? Das ist für mich die entscheidende Frage, und die stellt sich bei der Lektüre dieses Fremdenpolizei-Dossiers einmal mehr. Ich lese darin von jahrzehntelangem Hin und Her, von behördlichen Auflagen – dieser Mensch hat Auschwitz überlebt!»
«Ich vermute, es gab auch anständige und engagierte Beamte. Bloss waren sie wohl kaum sehr angesehen. Dass Engagement möglich war, auch gegen den Widerstand der Zeit, wissen wir von vielen Beispielen. Ich selbst habe keine vergleichbare Erfahrung gemacht. Natürlich, auch ich wurde fichiert, weil ich eine Initiative unterschrieben habe, am Gymnasium gingen von mir aufgehängte Flugblätter direkt vom Schwarzen Brett zur Polizei. Aber ich wurde nie vor existenzielle Mutproben gestellt wie etwa die Geschwister Scholl in München, einzustehen für Menschlichkeit und Menschenrechte, gegen den Staat, verurteilt zu werden. Dennoch – wie hat es doch Konstantin Wecker später formuliert: ‹denn die aufrecht gehn, sind in jedem System nur historisch hoch angesehn›.»
Geduldet und vereinnahmt
«Was man nicht abwehren kann, muss man vereinnahmen, das ist eine bekannte Strategie. Und in gewissem Sinne trifft das sich auch auf den Umgang Basels mit Carl Laszlo zu. Wirklich willkommen war er in der Schweiz ja nicht, wie die meisten Flüchtlinge nur auf Zeit geduldet, bis zur «Weiterreise», wie es in den Akten heisst. Jahrelang wird er mehr geduldet als anerkannt, selbst als inzwischen arrivierter Galerist. Erst Jahrzehnte nach seiner Ankunft, als er sich einbürgern lässt, stehen bekannte Basler Köpfe als Bürgen für ihn ein.»
Worte für die Zukunft
«Wenn ich die Chance gehabt hätte, Carl Laszlo im Radiostudio zu befragen: Ich hätte mit ihm nicht über seine Erinnerungen gesprochen. Sondern ihn gefragt, was er denn nun als nächstes plane. Für mich ist seine Geschichte nicht interessant, weil sie als Denkmal für den Holocaust taugt. Sondern weil ich meine, Carl Laszlo würde uns viel Hilfreiches für heute und morgen mitteilen können. Wir überlegen uns aktuell, wie wir mit minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlingen (UMA) umgehen sollen. Was war Carl Laszlo denn anderes? Wieviel Hoffnung und Mut könnte seine Geschichte vermitteln?»
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