Aus den Erinnerungen von Reinhard Grieder (1877-1954), festgehalten 1943. Das Manuskript wurde der Polizei Basel-Stadt von seinem Enkel zugestellt. Die hier publizierten Auszüge bilden eine Ergänzung zum 2016 erschienenen Jubiläumsbuch der Kantonspolizei.
Schlägereien
Im Herbst 1913 streiken in Basel die Färberei-Arbeiter. Da gibt es für die Polizei viel und angestrengten Dienst und sie erfüllt dabei noch eine undankbare Aufgabe. Vor dem ersten Weltkrieg 1914/18 wurde in Basel immer eine beträchtliche Anzahl der norddeutschen Zimmerleute, kurz „Seestädter“ genannt, beschäftigt. Diese Seestädter waren eine recht leichtlebige Gesellschaft und machte der Polizei viel zu schaffen, verging doch selten ein Samstag oder Sonntag, an dem diese nicht ein Saufgelage veranstalteten, wobei es dann gewöhnlich Schlägereien und blutige Köpfe absetzen. Es bestanden unter diesen Seestädtern zwei gewerkschaftliche Verbindungen, die beständig mit-einander auf Kriegsfuss lebten. So war ich einmal dabei, als es bei einem Zusammenstoss im Kleinbasel zu einer Stecherei kam, in deren Verlauf ein Mitglied lebensgefährlich verletzt wurde. Wir holten die Teilnehmer, etwa 15 – 20 Mann, aus den Dachzimmern, wo sie hausten wie die Eulen, herunter und verbrachten sie auf den Lohnhof, wo sie in Untersuchungshaft gesetzt wurden. Da der Täter nicht ausfindig gemacht werden konnte, musste die ganze Gesellschaft nach etwa 14 Tagen wieder entlassen werden. Als sie durch den Lohnhof abzog, lachte sie aus vollem Halse und sagte: „Nun ja, jetzt haben wir uns wieder einmal tüchtig ausgeruht“.
Ein anderes Mal, als ich im Nachtdienst in Begleitung meines Schutzmannes über die Schifflände ging, begegneten wie einer Anzahl dieser „Seestädter“, die in angeheitertem Zustand von ihrem Stammlokal in der St. Johannsvorstadt herkamen. Auf der Mittleren Rheinbrücke kletterte einer dieser Burschen auf das 30 – 40 Centimeter breite Brückengeländer und versuchte, dort zu gehen, fiel jedoch auf das Trottoir zurück. Wieder stieg dieser auf das Geländer, konnte sich wieder nicht oben halten und fiel aber diesmal nach aussen in die Fluten in den Rhein hinunter und verschwand dort in den Fluten. Nachdem ich von seinen Kollegen erfahren hatte, dass der Verunglückte Vigo Petersen heisse, gingen wir auf Seite Kleinbasel noch ein Stück weit dem Ufer entlang um nachzusehen, ob er noch irgendwo an das Ufer gezogen werden konnte, hörten und sahen aber nichts mehr von ihm. Ob dieser Vigo Petersen doch noch durch Schwimmen das Ufer erreicht – diese Seestädter werden doch alle gute Schwimmer sein – oder ob er als Leiche irgendwo aus dem Rhein gefischt worden ist, ist mir nicht bekannt.
Hilfspolizisten im Nebenerwerb
Betreffend dem oben erwähnten Schutzmann will ich noch folgendes erklären: Da die Polizeimannschaft für den Nachtdienst nicht ausreichte, wurde sie durch die Schutzmannschaft, etwa 50 Mann, verstärkt. Jedem Polizeimann wurde im Nachtdienst ein Schutzmann, scherzweise auch Schutzgeist genannt, beigegeben, für dessen Diensthandlungen aber der Polizeimann verantwortlich war. Der Schutzmann wurde nur im Nachtdienst eingesetzt, welch letzterer in der Regel von abends 9 Uhr bis morgens 6 Uhr dauerte. Da dessen Lohn nicht ausreichte, hatte fast jeder einen Nebenverdienst, der eine als Schuhflicker, der andere als Dienstmann, der dritte als Leichenbegleiter, Kirchenwächter an Sonntagen oder Museumswächter oder dergleichen. Nach dem Weltkrieg 14/18 kamen die Schutzmänner auf das Etat, d.h. es wurden keine frischen mehr eingestellt und die Alten wurden pensioniert.
Vorfälle
Damit der Leser nicht glauben mag, meine Stelle bei der Polizei habe nur aus Ferien und Reisen bestan-den, seien auch einige Diensthandlungen erwähnt. Während einem Nachtdienst im Gundeldingerquartier konnte ich einem Dieb eine Zinnbarre, ca. 30 Kilo schwer, im Wert von einigen hundert Franken abjagen. Den Dieb konnte ich zwar nicht erwischen, aber dem bestohlenen Geschäft konnte sein Eigentum wieder zugestellt werden.
Ein andermal konnte ich mit Hilfe meiner Kollegen im Alban-Quartier drei Einbrecher an der Tat „in flagranti“, wie uns unser Chef in der Theorie gesagt hat, verhaften. Diese drei Einbrecher waren in ein Haus, dessen Bewohner für längere Zeit abwesend waren, eingedrungen und hatten schon für einige tausend Franken Wertsachen fortgeschleppt. Dass auch das Nachbarhaus unbewohnt war, veranlasste sie dazu, auf dem Dachboden ein Loch durchzubrechen, um durchzuschlüpfen und dort ihren Raub weiterführen zu können. Durch unser Eingreifen konnten sie an dieser Arbeit gestört, heruntergeholt und dem Gericht übergeben werden.
Wie die Polizei immer dann gerufen wird, wenn es recht schief oder gefährlich zugeht, so soll sie sich in den schwierigsten Situationen zurechtfinden. Hiefür ein Beispiel: Mein Kollege Robi wurde zu einem Verkehrsunfall gerufen. Ein schwer beladenes Schnappkarrenfuhrwerk fuhr von der St. Albanvorstadt her nach dem St. Albantal hinunter. Auf der steilen Strasse versagte die Bremse, das Pferd vermochte den Karren nicht mehr zu meistern und in schnel-lem Tempo ging es den Berg hinunter. Unten wurde das Pferd über eine steinerne Brüstung hinausgeworfen. Und blieb an der Deichsel und an den Strängen über dem Teich hängen. Wie konnte jetzt die „schwere Liese“ aus ihrer misslichen Lage befreit werden? Hier war guter Rat teuer. Unser Robi wusste sich aber zu helfen. Er holte eine Säge, durchsägte die Deichsel und durchschnitt die Stränge und liess die Liese in den Teich hinunter plumpsen, wo diese wieder auf die Beine zu stehen kam und eine kleine Strecke weiter unten aus dem Wasser gezogen werden konnte.
Dass nicht alle polizeilichen Funktionen glatt und ohne Widerstand ablaufen, mögen folgende Fälle beweisen! In einem Nachtdienst im Gundeldingen war ich genötigt, zwei Burschen wegen Störung der Nachtruhe anzuhalten. Diese zogen mit einer Handorgel spielend durch die Strassen. Dies wäre an und für sich kein Verbrechen, wohl aber eine Störung der Nachtruhe, die eben in der Stadt verboten ist. Unser Einschreiten wollten die Burschen sich nicht gefallen lassen (wozu sind sie denn freie Schweizer?) und teilten gleich Faustschläge aus, von denen auch einige mir abfielen. Wegen schöner blauer Augen musste ich einige Tage daheim bleiben, während die Burschen zu Bussen und Entschädigungen verurteilt wurden.
Ein andermal erhielt ich den Auftrag, Ruhestörer festzustellen und zur Ordnung zu weisen, die gewöhnlich im Albanquartier ihren Übermut ausliessen. Um die erwartete späte Nachtstunde kamen diese singend und johlend angerückt. Auf mein Verlangen verweigerten sie die Angabe ihrer Personalien und leisteten auch der Aufforderung, auf den nächsten Polizeiposten zu kommen, keine Folge. Während zwei der Ruhestörer sich aus dem Staube machten, geriet ich mit dem dritten in ein Handgemenge, in dessen Verlauf wir beide zu Boden kamen. Da ich an einem Fuss verletzt war und heftige Schmerzen fühlte, gab ich den Kampf auf und liess meine Gegner laufen. Ich konnte meinen Dienst nicht vollenden und daheim stellte der herbeigerufene Arzt einen Bruch des Wadenbeins fest, zu dessen Heilung ich dann 4 Wochen benötigte. Die Namen der drei Krachbrüder hatte ich nicht feststellen, dagegen den Hut des einen als „corpus delicti“ in Verwahrung nehmen können. Ein mit dem Fall beauftragter Detektiv konnte dann anhand dieses Hutes, in dem die Anfangsbuchstaben des Namens eingeheftet waren, den Haupttäter feststellen. Letzterer wurde vom Gericht wegen Widersetzlichkeit zu einem Monat Gefängnis und zu einer Entschädigung verurteilt.
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