Liebe Grüsse aus Moskau – 5

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Das Leben in der Fremde ist alles andere als einfach – oder ungefährlich. Emil Speiser, 1893 als Fabrikarbeiter nach Moskau ausgewandert, erzählt seinen Eltern und Geschwistern:

Moskau, den 14 August 1894

Was nun im Geschäft vorgeht, so kann ich Ihnen immer das Gleiche berichten, zu arbeiten über alle Massen. Die neue Fabrick geht mit dem Bauen dem Ende entgegen und wird innert einem Monat in Betrieb gesetzt werden. Unsere Arbeiter verdienen so zu sagen so viel wie unsere daheim 30-35 Rubel pro Monat in Franken umgerechnet 75-85 Franken, dabei kein Logiezins und die Kost macht ihnen auch nicht viel aus. Freilich ist unsere Fabrick eine der ersten in Zahlung von Löhnen und haben wir nicht zu fürchten, dass es bei uns zum Streik kommt, wie in unserer Nähe es in einer Fabrick geschehn, die etwa 2500 Arbeiter beschäftigt. In solcher Fabrik haben nämlich 50 Arbeiter an einem Sonntag gegen 1500 Fensterscheiben zerschlagen, bis die Polizei sie davon abwendig machte. Die Arbeiter haben es gethan, weil ihnen dort für jeden kleinen Fehler Strafe angeschrieben wurde, und überhaupt wenig bezahlt. Es ist wirklich war, man ist manchmal gezwungen mit Geld zu strafen, da bei diesen Leuten Worte wenig nützen, oder man muss sie schon gehörig zum Teufel herunter schimpfen biss es was nützt zur Besserung. So kommt es auch mir Letztere öfters zu Theil, da Herr Wirz überhaupt nicht gern sieht mit Geld strafen und immer sagt, Geldstrafen seien nur Bequemlichkeit der Meister. Es ist ja wahr, aber Zorn kommt einem auf anderm Wege dann auch genügend zu Theil; denn ohne Anprüllen nützt es nichts.

Brandstiftung

Letzhin war in unserer Fabrick, wo die Zettlerinnen und Winderinnen schlafen, auch Brandstiftung vorgekommen, indem dort in beiden Treppenhäusern mit Oel getränkte Hobelspähne Nachts um 1 Uhr angezündet wurden. Konnte aber von einer meiner Arbeiterinnen, die gerade auf Nr. 100 gehn wollte, durch Zurufen von Andern zur rechten Zeit gelöscht werden, sonst wären viele dem Feuertode jedenfalls nicht entkommen, da es ein hölzernes Haus ist. Als Brandstifter rechnet man ein Arbeiter, der gegen ein Mädchen Feind ist, das eben in demselben Hause schläft.

Der Briefeschreiber

10 Jahre lang lebte und arbeitete Emil Speiser in Moskau, bevor er 1903 krankheitsbedingt in die Schweiz zurückkehren musste. 10 Jahre lang schrieb er an seine Eltern und Geschwister, berichtete aus dem Alltag in der Fremde, über das Fabrikleben und die russische Gesellschaft. Auch nach seiner Rückkehr in die Schweiz und seinem Tod riss der Kontakt mit Moskau nicht ab. Witwe Mina Speiser erhielt weiterhin Briefe von ihren Freundinnen und Bekannten – bis zu den Novembertagen 1917.

Webstühle, Esskultur und Unruhen

Die Briefe im Staatsarchiv erzählen davon, wie es Zettelmeister Speiser in der Bandweberei Handschin & Wirz in Moskau erging; wie der Schweizer mit der russischen Kultur zurechtkam; was er und seine Bekannten von den zunehmenden Unruhen um 1900 miterlebten. Auszüge aus den Briefen werden hier im Blog anlässlich der Museumsnacht 2017, die im Staatsarchiv unter dem Motto „Moskau einfach?“ steht, in einer kleinen Serie veröffentlicht.