Seit Emil Speiser 1893 nach Moskau gezogen ist, um in einer Fabrik zu arbeiten, hat sich die Lage in Russland verändert. So beschreibt er es seinen Verwandten in Gelterkinden:
Moskau den 4 April 1901
Meine Lieben !
Wir feiern gegenwärtig Ostern u sind also von Arbeit frei, so dass wir also Zeit hätten zum spatzieren wenn nur das Wetter auch schöner wäre. Der Schnee ist in Moskau ganz verschwunden, währenddem es auf dem Lande noch eine Masse Schnee hat, daher es auch noch nicht recht warm ist. Gestern u vorgestern war auf der Mosqua Eisgang was immer sehr intressant ist zu zusehn, wie sich das Eis eine Platte von der andern gedrängt unter u über die andern schiebt. Auch ist der Wasserstand gegenwärtig so hoch, dass man nur wünschen möchte dass der Fluss immer so viel Wasser hätte, wie eben jetzt. Es würde viel zur Gesundheit der Menschen beitragen. Man merkt auch bei uns draussen ganz gut, dass die Luft viel reiner ist, indem doch alle Fabricken stehn u so keinen Rauch aus den Schornsteinen steigt, der beständig die Luft verpestet.
Studentische Unruhen
Neues von Hier wisset Ihr jedenfalls durch die Zeitung mehr wie wir, indem alles was von den Studenten Unruhn geschrieben wird, ganz geschwärzt wird, so dass man nichts vernehmen kann, warum sie so Aufruhr machen. Es sind in Hier u Petersburg zusammen über 400 Studenten eingespert worden u auch an beiden Orten die Unversitäten geschlossen worden. Natürlich räumt die Polizei so schnell als möglich auf damit, dass es dabei nicht gemüthlich hergeht, kann man sich begreifen.
Der Briefeschreiber
10 Jahre lang lebte und arbeitete Emil Speiser in Moskau, bevor er 1903 krankheitsbedingt in die Schweiz zurückkehren musste. 10 Jahre lang schrieb er an seine Eltern und Geschwister, berichtete aus dem Alltag in der Fremde, über das Fabrikleben und die russische Gesellschaft. Auch nach seiner Rückkehr in die Schweiz und seinem Tod riss der Kontakt mit Moskau nicht ab. Witwe Mina Speiser erhielt weiterhin Briefe von ihren Freundinnen und Bekannten – bis zu den Novembertagen 1917.
Webstühle, Esskultur und Unruhen
Die Briefe im Staatsarchiv erzählen davon, wie es Zettelmeister Speiser in der Bandweberei Handschin & Wirz in Moskau erging; wie der Schweizer mit der russischen Kultur zurechtkam; was er und seine Bekannten von den zunehmenden Unruhen um 1900 miterlebten. Auszüge aus den Briefen werden hier im Blog anlässlich der Museumsnacht 2017, die im Staatsarchiv unter dem Motto „Moskau einfach?“ steht, in einer kleinen Serie veröffentlicht.
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