Strassengeschichten. 7: Das Gundeldingerquartier

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Blogserie, Strassengeschichten

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Unter allen Gesetzen und Verordnungen, die im Staatsarchiv Basel aufbewahrt werden, gibt es nur wenige, die von grösserer Tragweite waren als das «Gesetz über die Erweiterung der Stadt» von 1859. In ihm wurden die Schleifung der Stadtmauern beschlossen und die Richtlinien zum Bau neuer Aussenquartiere festgelegt. Die Stadt war dem enormen Bevölkerungsdruck schlicht nicht mehr gewachsen, wie die Regierung schon im Ratschlag festhielt. Bemerkenswert ist, dass man sich ausdrücklich vorbehielt, «nach einigen Jahrzehnten» die erweiterte Stadt mit einem neuen Mauerring zu umgeben. Offenbar hatte man grosse Mühe, sich von der Vorstellung einer geschlossenen und überschaubaren Stadt zu verabschieden …

Spekulationsstrassen

Interessant ist, dass die Stadt die neuen Aussenquartiere nicht selber erschloss. Vielmehr verkaufte sie Bauland an sogenannte Spekulanten (wobei der Begriff zu dieser Zeit noch völlig wertneutral war). Diese mussten einen Bebauungsplan vorlegen und in Eigenregie Kanalisation und Strassen erstellen, wobei der Baulinienabstand (15m) und die Strassenbreite (9m) vorgeschrieben waren. Erst wenn zwei Drittel der Strasse bebaut waren, übernahm die Stadt die Strassenreinigung. So kam Basel völlig unentgeltlich zu einem neuen Strassennetz.

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Beinwilerstrasse 3–11, 1939. Staatsarchiv Basel-Stadt, NEG 20509

Das Foto von der Beinwilerstrasse aus dem Jahr 1939 zeigt ein typisches Element aller Spekulationsstrassen: Vor den Häusern befinden sich genau drei Meter breite Vorgärten. Diese waren im Gesetz zur Stadterweiterung vorgeschrieben. Dies Vorgärten sollten den Strassenstaub schlucken und so die Strassenreinigung erleichtern. Deshalb durften sie auch nicht mit Mauern, sondern nur mit Gittern umgeben werden. Die Beinwilerstrasse war Teil des grössten Spekulationsprojekts überhaupt: der Überbauung des Gundeldingerfelds.

Eine ländliche Idylle

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Blick auf Basel von Süden, um 1850. Staatsarchiv Basel-Stadt, BILD Wack C 77

Noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts präsentierte sich das heutige «Gundeli» als ländliche Idylle, wie uns die Kreidelithographie aus dem Staatsarchiv zeigt: Gärten, Obstbäume und weite Felder.

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Die Schlösser Gundeldingen, 1746. Staatsarchiv Basel-Stadt, BILD Falk. A 241

Nur am Fusse des Bruderholz, dort, wo eine uralte Landstrasse (die heutige Gundeldingerstrasse) ins Elsass führte, stehen ein paar spätmittelalterliche Weiherschlösser, die den Wasserreichtum des Bruderholzes nutzten: das Äussere, das Mittlere und das Vordere Gundeldingen. Auf sie war der frühmittelalterliche Siedlungsname, der «bei der Sippe des Gundolt» bedeutet, übergegangen.

Das «Mainzer Quartier»

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Situationsplan der neuen Quartier-Anlage in Basel auf dem Areal der süddeutschen Immobilien-Gesellschaft, 1876. Staatsarchiv Basel-Stadt, Planarchiv B 2,3

1874 erwarb die in Mainz gegründete Süddeutsche Immobiliengesellschaft (respektive deren Basler Teilhaber) südlich des Bahnhofs ein Areal, das halb so gross war wie die alte Stadt innerhalb der Mauern. Sie legte einen Bebauungsplan vor, der vom Grossen Rat bewilligt wurde. Gemäss diesem Plan wurde innerhalb von 30 Jahren das Gundeldingerquartier errichtet, wobei die einzelnen Parzellen teilweise noch während der Bauzeit weiterverkauft wurden, was den Teilhabern den immensen Gewinn von 30 Millionen Franken einbrachte.

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Gundeldingen von Westen, 1934. Staatsarchiv Basel-Stadt, BALAIR 3697

Auf der Luftaufnahme aus dem Jahr 1934 ist das regelmässige Strassenraster dieses auf dem Reissbrett entstandenen Quartiers deutlich ersichtlich. Das ist für viele in dieser Zeit entstandenen Stadtquartiere (nicht nur in Basel) typisch. Bestimmend für dieses Raster war die ökonomischste Art, eine Kanalisation anzulegen, was ja auch eine der Bestimmungen im Basler Stadterweiterungsgesetz war.

Nur ein Wunsch wurde der Süddeutschen Immobiliengesellschaft verwehrt: Sie wollte das neue Quartier offiziell «Mainzer Quartier» und die mittlere Hauptachse «Mainzer Strasse» benannt haben. Doch dagegen regte sich patriotischer Widerstand. Die lauthals geäusserte Angst, «von den Deutschen überrannt» zu werden, veranlasste die Behörden, der mittleren Verkehrsachse den Namen «Dornacherstrasse» zu geben. Und zwar nicht nach der Ortschaft Dornach, sondern nach der Schlacht von 1499, die, zumindest in der damaligen Deutung, die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft vom Reich zur Folge hatte. Auch mit der Benennung der beiden Quartierplätze nach den eidgenössischen Helden Tell und Winkelried wurde dem Zeitgeist Rechnung getragen. Im Volksmund jedoch lebte der Name «Mainzer Quartier» für das «Gundeli» noch lange weiter.

Ein Beitrag von Peter Habicht im Rahmen der Serie Strassengeschichten.