Basel als unfreiwillige Zwischenstation – die Flucht der Familie Günzburger

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Aus dem Lesesaal

Eine neuerlich im Staatsarchiv Basel erschlossene Akte, StABS PD-REG 3a 34553, gibt Aufschluss über die dramatischen Umstände der Flucht des jüdischen Ehepaars Siegmund und Lina Günzburger und ihres Sohnes Herbert vor der Verfolgung des NS-Regimes 1939.

Lina Günzburger war eine geborene Weil, Tochter des Lörracher Textilkaufmanns Abraham Weil, dessen Geschäft in der Lörracher Grabenstrasse 15 bereits 1868 nachgewiesen ist. Die Visumsanträge der Familie Günzburger waren im US-Konsulat in Stuttgart in Arbeit. Doch schien es den Günzburgers ratsam, den Ausgang dieses Verfahrens nicht in Lörrach abzuwarten. Die Ausreise nach England als Zwischenstopp war geregelt, eine 8-tägige Aufenthaltserlaubnis für Basel vom schweizerischen Konsulat in Mannheim erteilt. Am 26. August 1939 reiste die Familie in Basel ein. Lina Günzburger war herzleidend, und die Familie traf die nicht absehbar folgenschwere Entscheidung, ihr in Basel vor der Weiterreise nach England ein paar Tage Ruhepause zu gönnen. Als Ausreisedatum stand der 1. September 1939 fest. Just an dem Tag überfiel Hitlers Wehrmacht Polen, und noch am gleichen Tag erhielten die Gesuchsteller vom englischen Konsul die Mitteilung, „dass vorläufig die Weiterreise nach England trotz des Visums des Britischen Konsulates in Frankfurt am Main nicht möglich sei, da zunächst nur britische Staatsangehörige in England landen können.“ So lautete der Brief des Anwalts der Familie an die Kantonale Fremdenpolizei, Basel-Stadt, Lohnhof vom 6. September 1939. Vier Tage zuvor, am 2. September 1939, war die Aufenthaltserlaubnis von Siegmund, Lina und Herbert Günzburger für die Schweiz abgelaufen.

Frist auf Frist

In der „Anzeige einer erteilten Aufenthalts-, Niederlassungs-, oder Toleranzbewilligung“ vom 22. September 1939 setzte die Kantonspolizei der Familie eine einmonatige Frist zu ihrer Ausreise aus der Schweiz. Die Eidgenössische Fremdenpolizei bestätigte am 3. Oktober 1939 in ihrer Weisung an die Basler Kantonspolizei: „Bis zum 20. Oktober 1939 darf nur Toleranz-Bewilligung zur Vorbereitung der Auswanderung erteilt werden. Auf diesen Zeitpunkt hat die Ausreise aus der Schweiz zu erfolgen. Begründung: Ueberfremdung.“

Die Günzburgers hatten zwar zwei Möglichkeiten in Aussicht: Die Einreise nach England oder sogar die Erteilung ihrer Einreisevisa in die USA durch das amerikanische Konsulat in Zürich. Nur musste das beim US-Konsulat in Stuttgart weit fortgeschrittene Antragsverfahren beim US-Konsulat in Zürich komplett neu aufgerollt werden. Der Anwalt der Familie erbat am 11. Oktober 1939 die Erteilung einer 3-monatigen Toleranzbewilligung. Als neue Ausreisefrist wurde der Familie der 31. Dezember 1939 gesetzt.

Innerhalb dieser gesetzten Frist hatte sich der Anwalt der Familie persönlich in England erkundigt, ob die „Möglichkeit einer Erneuerung der bereits erteilten englischen Einreiseerlaubnis“ bestünde. „Dabei brachte ich in Erfahrung, dass eine solche Erneuerung mit sehr großen Schwierigkeiten verbunden ist.“ Immerhin hatte inzwischen das US-Konsulat in Zürich die Verfahrenssakten des Konsulats in Stuttgart übernommen. Eine für die Erteilung der Visa zwingend notwendige Bürgschaft eines „kapitalkräftigen“ Verwandten in Brooklyn, New York, sei bereits auf dem Weg. Auch seien die Günzburgers  in der Lage, „eine Kaution für ihre Wiederausreise zu leisten“. Eine weitere 3-monatige Ausreisefrist schien angemessen. So sein Antrag vom 20. Januar 1940. Zwei Wochen vor Ablauf der jetzt auf den 30. April 1940 festgesetzten Ausreisefrist schrieb Siegmund Günzburger an die Kantonale Fremdenpolizei, eine vom Amerikanischen Generalkonsulat geforderte zusätzliche Bürgschaft sei dort inzwischen eingegangen. Auf seine Anfrage vom 4. April 1940, wie weit denn die Bearbeitung der Visumsanträge gediehen sei, habe er bis dato noch keine Antwort erhalten.

Es folgte ein kurzes interkantonales Zwischenspiel. Die Günzburgers wollten Verwandte in Derendingen im Kanton Solothurn besuchen. Das Polizei-Departement in Solothurn machte seine Zustimmung davon abhängig, dass sich der Kanton Basel-Stadt dazu bereit erklärte, „die Familie Günzburger nach einem vorübergehenden Aufenthalt in unserem Kanton wieder zu übernehmen.“

Drohende Internierung

Nach weiteren bürokratischen Hemmnissen und Verzögerungen in der Bearbeitung der Visumsgesuche, die ihre Ursache im Amerikanischen Generalkonsulat hatten, und den dadurch bedingten Verlängerungen der Aufenthaltsbewilligung, erhielt Herbert Günzburger die Ankündigung einer „Einweisung in ein Arbeitslager für Emigranten“, datiert vom 31. Januar 1941.

Herbert Günzburger machte geltend, dass seine Eltern altersbedingt nicht in der Lage wären, die nunmehr anstehenden Vorbereitungen für die Ausreise, als da wären Visumsanträge für die Durchreise zum Einschiffungshafen Lissabon, Erledigung des Gepäcks, und „Verhandlungen mit dem Reisebureau betr. Passage“ allein zu bewältigen, von der nervlichen Daueranspannung seiner Eltern ganz zu schweigen. Er schloss mit der Bitte, ihn vom Arbeitsdienst freizustellen.

Inzwischen schrieb man Februar 1941, und es verdichteten sich die Anzeichen, dass die Erteilung der Visa nunmehr bevorstünde. Am 4. März war es dann soweit. Die Günzburgers konnten ihre Visa in Empfang nehmen. Jetzt tat sich allerdings das Problem auf, dass die Schifffahrtsgesellschaft die für die Überfahrt von Lissabon nach New York vorgenommenen Platzreservierungen nicht akzeptierte. Der in Amerika lebende Sohn Arthur Günzburger versprach zu intervenieren.

Ein Schreiben der „Polizeiabteilung Arbeitslager für Emigranten des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements“ an Herbert Günzburger konstatierte: „Mit Rücksicht darauf, dass Sie vermutlich in der ersten Hälfte des Monats Juni 1941 die Schweiz verlassen können, um den Clipper, der am 21. Juni 1941 von Lissabon abgeht, zu erreichen, dispensieren wir Sie weiterhin vom 20. Mai 1941 bis zum 15. Juni 1941.“

Geglückte Weiterreise

Otto Zaugg, Chef der Zentralleitung der Arbeitslager für Emigranten, erkundigte sich am 4. Juli 1941 bei der Kantonalen Fremdenpolizei Basel-Stadt, ob Herbert Günzburger die Schweiz verlassen hätte. Die Antwort: „Der deutsche Reichsangehörige Herbert Günzburger, geb. 27 Juli 1905“, hat „sich am 7. Juni hier nach New York abgemeldet.“

Wie ging es weiter? Diese Darstellung deckt die Zwischenstation Basel ab. Herbert Günzburgers Nachlass (er befindet sich im Leo Baeck Institute in New York) gibt Aufschluss über das weitere Schicksal der Familie Günzburger in den USA.

Gefunden im Staatsarchiv

Ulrich Tromm, einstiger Geschichts- und Englischlehrer, forscht im Staatsarchiv über die regionale Geschichte des Nationalsozialismus. Von ihm stammt der oben stehende Beitrag.