Linke Geschichte im Archiv

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Aus dem Lesesaal

Maifeier anno 1948, Redner SP-Grossrat Oreste Fabbri. Staatsarchiv Basel-Stadt, BSL 1013 1-120 1

Würde man alle Schachteln aufeinander schichten, ergäbe dies einen Turm, der etwas höher ist als das Spalentor: Insgesamt 44 Laufmeter umfassen die dem Staatsarchiv Basel-Stadt abgegebenen Unterlagen der Sozialdemokratischen Partei Basel-Stadt. Mit den Protokollen der Sektion Basel des Schweizerischen Grütlivereins reichen sie weit hinter die Gründung der SP bis ins Jahr 1844 zurück. Der folgende Beitrag von Isabel Koellreuter und Hermann Wichers – ein Auszug aus der Jubiläumspublikation 125 Jahre Basler Sozialdemokratie – beschreibt, wie es zu dieser ausserordentlichen Überlieferung kam. Und wie damit Geschichte geschrieben wird.

Das PA 716 im Staatsarchiv Basel-Stadt

Das Parteiarchiv PA 716 Sozialdemokratische Partei Basel-Stadt ist in zwei Bestände gegliedert (PA 716a und PA 716b). Dies entspricht der Überlieferungsbildung. Der erste Bestand von rund fünf Laufmetern (PA 716a) kam 1985 in das Staatsarchiv. Darin sind ausser Dokumenten zur Vorgeschichte der Partei – neben dem Grütliverein vor allem die Sektion Basel der Internationalen Arbeiterassociation – in erster Linie die Unterlagen wichtiger Parteigremien (Vorstand, Grossratsfraktion, Frauengruppe, SP-Jugend) überliefert, mehrheitlich aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Der weit umfangreichere zweite Bestand (PA 716b) gelangte in insgesamt fünf Schritten zwischen 1991 und 2005 ins Staatsarchiv. Die meisten Unterlagen kamen direkt aus dem Parteisekretariat im Gewerkschaftshaus an die Martinsgasse. Ergänzt wurde der Bestand durch die Abgabe von Unterlagen des Quartiervereins Horburg-Kleinhüningen. Leider genügte die Lagerung im Keller des Gewerkschaftshauses nicht immer den nötigen Sicherheitsansprüchen, infolge eines Wasserschadens gingen zum Beispiel Wahlunterlagen und Fotomaterial verloren.

Finanziert wurden die umfangreichen Erschliessungsarbeiten – wie bei grösseren Privatarchiven heute üblich – über Drittmittel, die der Aktenbildner zur Verfügung stellt. Reichtum und Vielfalt der beiden Bestände sind überwältigend: Im Archiv befinden sich Akten aller Parteiorgane, wie Parteivorstand, Fraktion, Kommissionen und Sachgruppen, Unterlagen zu Abstimmungen, Positionspapiere, Porträts in Wort und Bild von Exponentinnen und Exponenten der SP, aber auch Unterlagen zum Kontakt mit befreundeten Organisationen im In- und Ausland.

Spiegelbild der jeweiligen Gegenwart

Das Archiv weist aber auch einige Lücken und Überlappungen auf. So fehlen beispielsweise die Fraktionsprotokolle zwischen 1940 und 1964 vollständig, ebenso die Vorstandsprotokolle von 1935 bis 1945. Ob letztere wegen der Bedrohungslage im Zweiten Weltkrieg mit Absicht nicht überliefert wurden, muss offenbleiben. In jedem Fall fällt auf, dass allgemein die Jahre zwischen etwa 1930 und 1945 weniger gut dokumentiert sind. Fast vollständig fehlen auch Materialien zum Deutschen Arbeiterverein in Basel, der für die Geschichte der Arbeiterbewegung in der Stadt vor 1914 eine wichtige Rolle spielte.

Das Archiv reflektiert die Arbeit, die Ordnung und das Geschichtsbewusstsein der jeweiligen Protagonistinnen und Protagonisten: Es gab Sekretäre, welche die Unterlagen geordnet hinterliessen, andere, die weniger sorgfältig waren oder gar manches nach einer gewissen Zeit entsorgten, einige wiederum nahmen nach ihrer Amtszeit vielleicht auch Dokumente mit nach Hause. Gut möglich also, dass eines Tages die fehlenden Fraktionsprotokolle noch bei jemandem im Estrich auftauchen.

Trotz Lücken gut ausgestattet

Trotz der erwähnten Lücken ist das Parteiarchiv der Basler Sozialdemokratie sehr dicht überliefert, was gerade im Vergleich zu den Beständen der bürgerlichen Parteien auffällt. Dies lässt sich aus der Geschichte der Arbeiterbewegung erklären, die früh einen im Vergleich hohen Organisationsgrad aufwies. Da die Arbeiterparteien sich von unten konstituierten, mussten sie, um überhaupt zu funktionieren, entsprechend effizient und straff organisiert sein. Sie konnten weniger auf bestehende Strukturen zurückgreifen, wie dies bei den Bürgerlichen der Fall war. Dort stand den politisch aktiven Personen ganz im Sinne des Milizsystems nicht selten z.B. eine gut ausgestattete private Kanzlei, die Handelskammer oder der Arbeitgeber zur Seite.

In den Unterlagen wird auch immer wieder die enge Verzahnung von Partei und Gewerkschaften sichtbar: Für Parteiexponenten und -exponentinnen boten (und bieten bis heute) die Gewerkschaften die Möglichkeit, einer bezahlten und inhaltlich nahestehenden Arbeit nachzugehen. Die starke Kontinuität in den Strukturen der Gewerkschaften widerspiegelt die Überlieferung der Akten, sind doch die vorhandenen Gewerkschaftsarchive im Staatsarchiv noch umfangreicher als das SP-Archiv: Allein das Archiv des Basler Gewerkschaftsbundes umfasst 32, jenes des VPOD gar 45 Laufmeter, und beide bergen auch viele Informationen zur Geschichte der Sozialdemokratie. Hinzu kommen umfangreiche Archive der Unia und ihrer Vorgängergewerkschaften wie SMUV, GBH, GBI, GDP und VHTL.

Mehr Geschichte ist möglich

Bisher wurde nur punktuell mit den Akten des Privatarchivs der SP BS gearbeitet, das Gleiche gilt für die Gewerkschaftsarchive. Dieser Befund akzentuiert sich noch, wenn man die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in den Blick nimmt.

Anlässlich des 125 jährigen Jubiläums der Basler SP erschien im Frühjahr 2016 unter dem Titel «125 Jahre Basler Sozialdemokratie – Ein Lesebuch» ein Sammelband zur Geschichte der Partei. Das Spektrum der insgesamt 75 Beiträge ist breit: Es reicht von den Anfängen der Partei und den Jahren des Roten Basel über die Parteispaltung in den 1970er Jahren bis zum Wiederaufstieg der Jusos und zur Kehrwende in der Energiepolitik. Die politische Parteigeschichte wird aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet. Vollständig ist der Band aber mitnichten: Viele Themen fehlen und viele aktive Genossinnen und Genossen kommen nicht vor. Mit der Publikation verbunden ist denn auch die Hoffnung, weitere interessante Auseinandersetzungen mit der Geschichte der Sozialdemokratie anzuregen. In allen Beständen im Staatsarchiv gibt es noch zahlreiche Unterlagen zur breiten Geschichte von Sozialdemokratie und Arbeiterbewegung, die nur darauf warten, gehoben zu werden.

Isabel Koellreuter ist Historikerin, Mitinhaberin von Schürch & Koellreuter, Mitherausgeberin und Mitautorin der SP-Jubiläumspublikation.

Hermann Wichers ist Historiker, Leiter Benutzung im Staatsarchiv und Mitbearbeiter der Gewerkschaftsarchive.