„Zeugnisse arischer Abstammung“

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Allgemein, Fragen und Antworten

Benutzungsjournal des Staatsarchivs Basel-Stadt, 1934. Räte und Beamte U 9.2

„Die veränderten politischen Verhältnisse in Deutschland hatten auch dieses Jahr zahlreiche Nachforschungen genealogischen Charakters zur Folge.“

Das steht im Jahresberichts des Staatsarchivs 1935 zu lesen.
Und weiter steht dort:
„Als Zeugnisse arischer Abstammung wurden ausgestellt
1933 82 Taufscheine
1934 169 Taufscheine
1935 220 Taufscheine
gegenüber nur 7 im Jahre 1932.“

Blättert man die folgenden Jahresberichte durch, zeigt sich eine erhellende Dynamik: 1936 wurden insgesamt 615 Auszüge aus Kirchenbüchern (Tauf-, Trau- und Todesscheine) erstellt. 1940 brach die Nachfrage ein, 1945 waren es noch 12 Auszüge, 1946 gar keine mehr.

Wofür wurden diese „Zeugnisse arischer Abstammung“ benötigt? Das deutet der Jahresbericht des Staatsarchivs nur sehr verschlüsselt an. Das von den nationalsozialistischen Machtinhabern im April 1933 erlassene „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ diente dazu, Beamte mit jüdischen Vorfahren zu entlassen oder vorzeitig in den Ruhestand zu versetzen. Alle im Beamtenstatus befindlichen Personen mussten von nun an den sogenannten Ariernachweis erbringen, der belegen sollte, dass der Beamte keine Vorfahren jüdischer Religionszugehörigkeit hatte. Als Dokumente vorzulegen waren: die Geburtsurkunde, die Geburts- oder Taufurkunden der Eltern und Großeltern, die Heirats- oder Trauurkunden der Eltern und Großeltern sowie gegebenenfalls Militärpapiere.

Zwar stand die eingangs zitierte Bemerkung im Jahresbericht auf der ersten Seite. Und auch in den Basler Nachrichten war kurz nach der Publikation des Jahresberichts unter dem Titel „220 Zeugnisse arischer Abstammung“ zu lesen: „220 Zeugnisse arischer Abstammung wurden im Jahre 1935 durch das Staatsarchiv Basel-Stadt ausgestellt. Aus dem Jahresbericht dieser Institution, den soeben Staatsarchivar Dr. Paul Roth herausgibt, ist eine stark ansteigende Kurve von solchen Nachforschungen genealogischen Charakters zu erkennen (82 Taufscheine 1933, 169 1934 und die genannte Zahl 1935).“ Gleich der nächste Satz im Zeitungsbericht relativiert jedoch die Bedeutung dieser Nachfrage – was das Staatsarchiv selbst anging: „Doch das ist eine sehr untergeordnete Tätigkeit unseres Staatsarchivs; viel wichtiger ist, was die Benützung anbetrifft, die Beanspruchung für wissenschaftliche und amtliche Zwecke durch 5161 Personen und Amtsstellen; schriftliche Anfragen wissenschaftlichen Charakters wurden im Berichtsjahre 180 beantwortet.“ (Basler Nachrichten vom 10. Februar 1936).

Sachgeschäfte

In den Geschäftsunterlagen des Staatsarchivs finden sich keine weiteren diesbezüglichen Bemerkungen. Das Benutzungsjournal des Staatsarchivs Basel-Stadt hielt nicht systematisch fest, woher die Anfragen kamen (siehe Bild), und der Begriff „arische Abstammung“ taucht dort nicht auf. Hingegen notierte Archivmitarbeiter August Burckhardt in seinem Arbeitsjournal am 14. Oktober 1936: „Taufeinträge gesucht zwecks Ariernachweis.“ (Staatsarchiv Basel-Stadt, Räte und Beamte U 10.3)

Ein Einzelfall dokumentiert, wie solche Anfragen als Sachgeschäft behandelt wurden. 1935 ersuchte Otto Zimmermann, Turnlehrer in Trier, um Auskunft: „Der Unterzeichnete wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie ihm zum Nachweis seiner arischen Abstammung einige Angaben machen könnten, die Sie dort sicherlich in den Kirchenbüchern vorfinden. Es handelt sich um die Geburts- und Sterbedaten des früheren dortigen Seelsorgers Karl Ferdinand Zimmermann, der in der Mitte des vorigen Jahrhunderts dort Pfarrer war.“ (Staatsarchiv Basel-Stadt, Räte und Beamte U 9.2). Die erste Reaktion des Staatsarchivs fiel ungewohnt harsch aus; eine kurze maschinenschriftliche Notiz, an die Anfrage geheftet, hielt fest: „Nimmt die Zeit eines Beamten zu sehr in Anspruch, übrigens sind die Angaben ungenau.“ Schon am Folgetag aber verfasste der Staatsarchivar folgende Antwort: „[…] beehren wir uns Ihnen hiedurch mitzutheilen, dass in Basel nur folgende Pfarrer Zimmermann nachweisbar sind: 1. Zimmermann Max, geb. 29.V.1864, 2. Zimmermann Oskar von Koblenz.“

Mit den Nürnberger Rassegesetzen vom September 1935 wurde der Ariernachweis dann für alle Bürger des deutschen Reichs alltäglich. So waren z.B. Eheschliessungen zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen fortan verboten. Entsprechend stieg die Nachfrage nach Ariernachweisen.

Es wäre falsch, das Staatsarchiv als Erfüllungsgehilfen nationalsozialistischer Rassenpolitik zu bezeichnen. Was aber auffällt, ist zum einen die unkommentierte Übernahme der nationalsozialistischen Begrifflichkeit („arische Abstammung“, „Ariernachweis“) durch die baslerische Behörde. Und zum anderen die Tatsache, dass mit keinem Wort thematisiert wird, welche Tragweite solche Auskünfte besassen. Obwohl die Archivmitarbeitenden in Basel offensichtlich um die Hintergründe wussten („die veränderten politischen Verhältnisse in Deutschland“), behandelten sie die wachsende Zahl solcher Anfragen wie andere genealogische Anfragen auch, nämlich als Sachgeschäfte, die Arbeit und Aufwand generierten, aber selbstverständlich beantwortet wurden.