Der Engel mit der Laute

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Wort zum Bild

Fischmarktbrunnen, undatiert. Staatsarchiv Basel-Stadt, BILD 7, 42.

Der Engel mit der Laute und die Eiche von einem Mann auf dem Fischmarktbrunnen – oder wer sucht findet manchmal anderes. Ein Beitrag von Sabine Strebel, Leiterin Bildersammlung im Staatsarchiv Basel-Stadt.

Brunnen fristen ein eigentümliches Dasein. Sie werden wahrgenommen, gestalten die Umgebung und doch richtet sich der Blick kaum auf den Brunnen selbst. Heute ist der Fischmarkt leider kaum mehr als Platz erkenn- oder erfahrbar, der Brunnen ist eingefasst von Tramstation und Bushaltestelle, verschwindet zwischen den Verkehrsadern und entzieht sich im Alltag längeren Betrachtungen und aufmerksamen Blicken. Im Zuge der Neugestaltung des Platzes zwischen 1906 und 1908 wurde der Brunnen leicht versetzt, die originale gotische Säule mit Figurenschmuck mit einer Kopie ersetzt und das Original ins Historische Museum transferiert (INSA S. 151). Der ganze Platz hat sich sehr verändert. Bei einer Recherche zu dieser Veränderung bin ich dem ausgewählten Bild begegnet.

Oft entpuppen sich Fotografien von Brunnen als richtige Fundgruben, manchmal führen sie eine Suche jedoch in weite Umwege, manchmal fördern sie neue Ergebnisse zu Tage. Dieses Bild erzählt wenig über den Fischmarkt als Platz. Der Engel mit der Laute blickt in die Kamera und daneben erscheint die Statur eines stattlichen Mannes mit einem dunklen Hut. Die Aufnahme irritiert: Warum kann der Mann neben dem Engel stehen, wo sich die Figuren doch hoch über unseren Köpfen befinden? So hoch, dass sich im Alltag kaum ein Blick in diese Höhe richtet! Offenbar wurde die Fotografie während einer Renovation oder der Versetzung des Brunnens, als er eingerüstet war, aufgenommen. Das Datum ist leider nicht bekannt.

Auf dem Karton unterhalb der Fotografie hat jemand mit Bleistift einen Namen hin gekritzelt: Karl Stehlin. Diese Information findet sich nur dort, im Online-Archivkatalog finden sich zu dieser Aufnahme nur die Angaben „Fischmarktbrunnen: Details der Skulpturen am Brunnenstock: Madonna, Johannes der Evangelist. Lautenspielender Engel“.

Handelt es sich bei diesem Mann etwa um Karl Friedrich Stehlin (* 21. März 1859 in Basel; † 18. November 1934), den Juristen, Politiker, Archäologen und Historiker? Der Nachruf in der National-Zeitung im November 1934 beschrieb den wissenschaftlichen Erforscher des römischen Augusta Raurica und unermüdlichen Schaffer des Historischen Grundbuchs im Staatsarchiv Basel-Stadt folgendermassen:

“Die Eiche Karl Stehlin! Der Vergleich trifft zunächst rein äusserlich zu. Wem wäre der stark gebaute Mann im Strassenbild unserer Stadt noch nie aufgefallen, mit seinem breitkrempigen Hut und dem mächtigen Havelock, von dem die Sage ging, dass seine Taschen genau das Format eines römischen Legionsziegels hatten? Man wusste sofort, mit wem man es zu tun hatte und wie sein Wille ging, wenn er sein Haupt schüttelte, oder seine klugen, kleinen Augen unter den buschigen Brauen die Antwort erahnen liessen.“

Biografische Zeitungsausschnitte Dossier Stehlin, Karl (1859-1934), Neue Aargauer Zeitung vom 3.11.1934

Gut möglich, dass es sich tatsächlich um Karl Friedrich Stehlin (1859-1934) handelt. Von seinen Tätigkeiten in der Baukommission und seinen Interessen her wäre diese Inspektion auf dem Fischmarktbrunnen sehr gut vorstellbar. Erhärten konnte ich diese Notiz neben dem Bild bislang nicht, obwohl im Archivkatalog auch Porträts von Karl Stehlin zu finden sind.

Der Engel mit der Laute und der mächtige Mann, diese „Eiche von einem Mann“, auf dem Fischmarktbrunnen werden sie mich zukünftig begleiten. Wie es so ist mit Bildern, die man betrachtet hat – sie sind für immer im Kopf, begleiten die Betrachterin und prägen ihren Blick: Beim nächsten Eilen über den Fischmarkt werde ich wohl nicht nur automatisch den Blick hinauf zu den Figuren am Fischmarktbrunnen erheben, sondern zugleich auch dem Bild und dem imaginären Blick von Karl Stehlin (ob er es nun war oder nicht) begegnen.